Wolfgang Schüssel irrt höchstwahrscheinlich, wenn er meint, die FPÖ in der Frage Temelín noch auf Kurs, auf seinen Kurs bringen zu können. So wie er sich geirrt hat, als er meinte, Jörg Haider durch die Regierungsbeteiligung handzahm machen zu können. Die FPÖ wird ihre Veto-Politik gegen Tschechien ausreizen. Einen Umfaller in dieser Frage können sich die Freiheitlichen nicht leisten, abgesehen davon ist es eine bequeme Linie, dagegen zu sein. Der Bundeskanzler steckt in einer unangenehmen Situation: Die FPÖ lässt ihn anrennen, von der EU ist keine Hilfe zu erwarten. Dem Versuch, die Frage des ständig neue Pannen produzierenden Kraftwerks von bilateralen Verhandlungen auf EU-Ebene zu heben, dürfte kaum Erfolg beschieden sein. Österreich wird sich selbst um seine - in diesem Fall um Tschechiens - Belange zu kümmern haben. Für den Abschluss des Energiekapitels ist die Zustimmung der FPÖ erforderlich. Die wird es nicht geben, solange auch Tschechien nicht bereit ist, sich in der Frage Temelín zu bewegen. Da unterscheidet sich die FPÖ-Linie im Übrigen nicht von der der Oppositionsparteien, auch wenn diese das Tabuwort Veto nicht in den Mund nehmen. Das Ergebnis wäre - Veto hin oder her - das gleiche: ohne Abschluss des Energiekapitels kein Beitritt Tschechiens zur EU. Derzeit rührt sich Tschechien keinen Millimeter. Das Einzige, was geschieht, ist, dass die Koalition in Wien in eine handfeste Krise schlittert. Wohl zum Gaudium der Verantwortlichen in Prag. Will Österreich ernst genommen werden, müssen sich die Regierungsparteien, am besten aber alle vier Parteien in Wien auf eine gemeinsame Linie einigen. Sonst lachen uns die Tschechen aus, und Temelín bleibt, was es ist, ein Schrottreaktor. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 10.11.2001)