Wien/Doha - Bei der WTO-Ministerkonferenz in Doha im Golfemirat Katar wird wie auf einem Basar um die künftige Aufteilung des Weltmarktes gefeilscht. Bis Dienstagabend ist die Tagung der Welthandelsorganisation anberaumt. Einzelinteressen von 142 Staaten, Dutzende Blockbildungen je nach Thema gilt es auszubalancieren, um trotz des Einstimmigkeitsprinzips der WTO den Rahmen für eine neue Liberalisierungsrunde abstecken zu können. Bei der letzten, im Chaos untergegangenen WTO-Konferenz Ende 1999 in Seattle verliefen die Verhandlungslinien noch relativ klar entlang der Kluft des Nord-Süd-Konflikts. Zwei Jahre später, der globale Marktplatz ist gerade um China und Taiwan und mehr als 1,3 Milliarden Verbraucher gewachsen, streitet jeder mit jedem. Selbst globalisierungskritische Gewerkschaften, Kirchen, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen sind in der Frage gespalten, ob nun das Bombardement eines der ärmsten Länder der Erde oder die fortschreitende Landnahme der profitgierigen Multis das größere Übel der Welt darstelle. Sicherheitshalber wurde daher bei Antiglobalisierungskundgebungen am Wochenende in der Schweiz, Deutschland und Italien gegen den Krieg in Afghanistan und gegen die WTO demonstriert. Agrarsubventionen In Doha ringen derweil Industrienationen untereinander um den Abbau wettbewerbsverzerrender Agrarsubventionen und um die Aufnahme von Sozial- und Umweltschutzrichtlinien in das WTO-Regelwerk. Die EU und Japan wollen das Niveau ihrer Agrarstützen möglichst aufrechterhalten. Die USA, Brasilien, Australien und Kanada fordern hingegen eine Abschaffung der Agrarstützen. Gleichzeitig fordern Japan und Brasilien die USA auf, ihre Schutzzölle und Anti-Dumping-Maßnahmen etwa für die US-Stahlindustrie aufzugeben. In der Frage der Umwelt- und Sozialstandards steht wiederum die EU allein auf weiter Flur. Aber auch Entwicklungsland ist nicht gleich Entwicklungsland: Insbesondere Indien und Tansania, dass 77 Entwicklungsländer vertritt, stemmen sich vehement gegen eine neue WTO-Liberalisierungsrunde, solange die EU und die USA die Vereinbarungen aus der Uruguay- Runde (1986 bis 1994) im Zollabbau nicht umgesetzt haben. Einige lateinamerikanische Länder befürworten indes eine neue Handelsrunde, bei der erstmals das Thema Investitionsschutz behandelt werden soll. Sie erhoffen sich schlicht mehr ausländische Direktinvestitionen. Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs), sonst verlässlich auf der Seite der unterentwickelten Welt, lehnen die Aufnahme von Verhandlungen über Investitionen rigoros ab. Den NGOs sitzt die Angst vor dem Schreckgespenst MAI (Multilateral Agreement on Investments) im Nacken. Das Machtungleichgewicht würde weiter zuungunsten der Entwicklungsländer verschoben. Streitfall: Patentrecht Zum größten Streitthema zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ist das Patentrecht geworden. Die EU hat hier eine Vermittlerrolle eingenommen zwischen afrikanischen Staaten, die die lizenzfreie Produktion von günstigeren Anti-HIV-, Tuberkulose- und Malariamedikamenten erlaubt haben wollen, und den USA, der Schweiz und Kanada, die das rigoros ablehnen. Die EU bietet nun als Kompromiss eine neue Interpretation des WTO-Vertrags zum Schutz geistigen Eigentums in einem Art Zusatzdokument an, wonach für überlebensnotwendige Medikamente, etwa bei Epidemien, der internationale Patentschutz um-gangen werden dürfte. (DER STANDARD, Print, 12.11.2001)