Kunst und Kultur
Dacia Maraini: Ungebrochenes Interesse an weiblicher Identität
Eine Hauptvertreterin feministischer Literatur wurde 65
Rom - "In der Geschichte haben Männer und Frauen immer
verschiedene Sichtweisen vertreten, die keinen biologischen Ursprung
haben, sondern in der unterschiedlichen Erziehung zu suchen sind" -
so hat Dacia Maraini in einem Interview einmal ihr Interesse für die
weibliche Identität erklärt. Wie bei keiner anderen italienischen Schriftstellerin wird Dacia Marainis Name unweigerlich mit der Geschichte des italienischen Feminismus insbesondere der 70er Jahre verbunden. Die italienische Bestsellerautorin gilt
international als eine der Hauptvertreterinnen feministischer
Literatur, die ihre Positionen immer wieder in Frage stellt und
überdenkt. Am 13. November wurde die Schriftstellerin 65
Jahre alt.
Dacia Maraini hat eine erstaunliche Karriere hinter sich. Als sie
1962 ihre erste Erzählung "La vacanza" (deutsch "Tage im August")
herausbrachte, sprachen viele KritikerInnen von einem krassen Fall
literarischer Protektion. Zu jener Zeit war sie nämlich nicht nur die
Gefährtin des 29 Jahre älteren Alberto Moravia (1907-1990), sondern
schmückte ihr Erstlingswerk sogar mit einem Vorwort des berühmten
Lebenspartners. Jedoch hat die Autorin die abwertenden Urteile im
Laufe der Jahre durch Talent und Fantasie widerlegt und gehört heute
zu einer der interessantesten Erscheinungen der italienischen
Literaturszene.
Biografie
1936 als Tochter einer adligen sizilianischen Mutter und des
Anthropolgen Fosco Maraini geboren, siedelte Dacia schon früh von
Florenz nach Rom über, wo sie sich zunächst mit Gelegenheitsjobs
durchschlug. Später gründete sie mit Freunden eine literarische
Zeitschrift und arbeitete an mehreren Zeitungen mit. Nach der
Veröffentlichung ihrer ersten Romane und Erzählungen in den 60er
Jahren war sie Mitbegründerin experimenteller Theater, in denen vor
allem zeitgenössische italienische Stücke aufgeführt werden.
Kontroversiell
"Nur mit dem Willen allein kann man Tausende Jahre von Trennung
und Ausschluss nicht auslöschen", meint Dacia Maraini zur Geschichte
des Rollenverständnisses von Mann und Frau. Deshalb sei Literatur
über die weibliche Identität unbedingt notwendig. Schon 1976 wählte
sie für ihr Theaterstück "Dialog einer Prostituierten mit einem ihrer
Kunden" eine Protagonistin, die sich bewusst für den Beruf der
Prostituierten entschieden hat. Maraini wartet in dem Werk mit einem
provokanten Credo auf: Da alle Frauen sich sowohl in der Ehe als auch
in freien Beziehungen prostituierten, sei es ehrlicher und
konsequenter, für diese obligatorische Dienstleistung wenigstens ein
Entgelt zu verlangen.
Meriten
Mittlerweile ist Dacia Maraini eine vielfach ausgezeichnete
Autorin. Bereits 1963 erhielt sie für den Roman "Zeit des Unbehagens"
den Formentor-Verlegerpreis, 1999 den renommierten italienischen
Literaturpreis Premio Strega für den Erzählband "Buio" (etwa:
Dunkel). Darin setzt sie sich mit der Berichterstattung über
Verbrechen auseinander. Und obwohl sie seit Jahrzehnten eine der
erfolgreichsten Schriftstellerinnen Italiens ist, konnte sich Maraini
über die Auszeichnung noch freuen wie ein Kind. "Ein Traum! Ich bin
aufgeregt wie ein kleines Mädchen!", sagte sie damals.
Weitere Preise erhielt die Wahl-Römerin für ihre Bücher "Bagheria.
Eine Kindheit auf Sizilien" (1993), "Die stumme Herzogin" (1992) und
"Stimmen" (1995). Einen großen Erfolg hatte Dacia Maraini auch 1998
mit ihrem Briefroman "Liebe Flavia", in dem eine reife Frau Briefe
über eine verflossene Liebe schreibt - allerdings nicht an ihren
jungen Ex-Geliebten, sondern an dessen kleine Nichte. Das Kind, das
nie auf die Briefe antwortet, wird so zu einer Art Klagemauer für den
Verlust, den die Schreiberin beklagt.
In ihren Romanen hat die Autorin stets versucht, nicht den
moralischen Zeigefinger zu heben: "Ein Schriftsteller darf kein
Erzieher sein. Er muss sich auf das Erzählen beschränken, muss seine
Hauptdarsteller führen. Und er darf weder verurteilen noch
rechtfertigen."
(APA/red)