Alexandra Föderl-Schmid aus Berlin
Langsam regt sich Widerstand gegen den Afghanistankrieg unter deutschen Künstlern und Intellektuellen. Erst seit wenigen Tagen scheinen sie aus ihrer Erstarrung aufgewacht, jetzt jagt eine Resolution die nächste. Die bevorstehende Abstimmung im Parlament über den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Antiterrorallianz scheint als Katalysator zu wirken. Der Verband deutscher Schriftsteller in Berlin und Brandenburg forderte in einem offenen Brief die Bundestagsabgeordneten auf, gegen die Entsendung deutscher Soldaten zu stimmen. "Das Volk Afghanistans braucht alle humanitäre Unterstützung, keinen Krieg", heißt es in dem Appell. Grass als neue Ikone Am Mittwoch erschien in der Frankfurter Rundschau ein Aufruf, den unter anderem Literaturnobelpreisträger Günter Grass - neben anderen Nobelpreisträgern - unterzeichnet hatte. Darin wird beklagt, dass aus unterstützenden militärischen Aktionen zur Verhaftung eines Terroristen "ein umfassender Angriff gegen eines der ärmsten Länder der Welt" geworden sei. Daran ändere "auch die scheinbare Wende im aktuellen Kriegsverlauf nichts", heißt es in dem Appell.

Grass hat wie 170 andere Künstler auch den am Montag veröffentlichten Aufruf des Grafikers Klaus Staeck und des Publizisten Johano Strasser unterzeichnet, in dem vor einem "Weg in die Barberei" gewarnt wird. Der Autor scheint immer mehr zum Trommler und zur neuen Ikone der deutschen Friedensbewegung zu werden, da er bisher am deutlichsten Stellung bezogen hat.

Dass ihm diese Rolle durchaus behagt, zeigte sich bei einer Diskussion am Sonntagabend in der zum Bersten vollen Berliner Akademie der Künste. Auf dem Podium hatte sich die Elite der linken Intellektuellen versammelt, um Antworten auf die Frage "Lässt sich die Welt befrieden?" zu geben: außer Grass der frühere SPD-Entwicklungshilfeminister Erhard Eppler, der Soziologe Oskar Negt und der Publizist Strasser als Diskussionsleiter. Udo Steinbach, Leiter des Hamburger Orientinstituts, war die Rolle des Enfant terrible zugedacht. Er mahnte mehrfach vergeblich ein, zum Kern der Debatte zu kommen. Es gab zwar keine Buhschreie, aber immer wieder Zwischenrufe aus dem Publikum: "Deutscher Militäreinsatz" oder "Schröder spielt Krieg". Die Herren auf dem Podium ließen sich nicht beirren. "Moment", beschied Eppler Zurufern aus dem Publikum immer wieder begütigend, um seinen Vortrag über die "Privatisierung der Gewalt" fortzusetzen. Negt beschränkte sich weitgehend darauf zuzustimmen. Einzig Grass fand Zustimmung im Publikum, als er sagte: "Ich bin der Meinung, dass der jetzt geführte Militärschlag, auch wenn er aus militärischen Gesichtspunkten erfolgreich sein sollte, vom Erhebnis her kontraproduktiv ist und neue Gewalt motivieren wird." Im Publikum, das vergeblich auf Antworten gewartet hatte, machte sich Enttäuschung breit, als Grass den Zuhörern mit auf dem Weg gab, wieder Willy Brandts Schriften zu lesen. Denn der verstorbene Bundeskanzler habe schon frühzeitig die Gefahren für die Welt durch ungleiche Entwicklung erkannt. Grass selbst scheint, so wie die anderen am Podium, aber auch noch keine Antworten auf die Frage nach der Befriedung gefunden zu haben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 11. 2001)