Wien – "Temelín eines der sichersten Kraftwerke überhaupt?", runzelt Wolfgang Kromp die Stirn: "Vielleicht, wenn es eines Tages fertig renoviert ist und die in EU-Mitgliedsstaaten geltenden Normen umgesetzt sind." Damit reagiert der Risikoforscher der Universität Wien auf Helmut Rauch, den Leiter des Atominstituts, der im STANDARD vom Dienstag vor allem die technische Konzeption des tschechischen Atommeilers gelobt hat.

Und Wolfgang Kromp weiß, wovon er spricht, hat er doch letzten Juli gemeinsam mit internationalen Experten den Schwachstellenbericht über Temelín recherchiert und verfasst (siehe Linktipp).

Nicht letzter Stand

Konkret zweifelt der Risikoforscher an der "werkstoffmäßigen Prüfung" für den Primärkreislauf. Wo das Material auf mechanische Verformungen u. ä. getestet wurde, waren die Verfahren "nicht auf dem letzten Stand". Zudem zeige das Containment, also die Beton-Sicherheitshülle über dem Druckbehälter, "einige verdächtige Eigenschaften, die schlicht analysiert werden müssen", so Kromp.

Weiterer Kritikpunkt: Schmilzt der Reaktorkern eines Tages durch, liegt die Notsteuerzentrale des Kraftwerks nicht eben intelligent, nämlich genau "unter dem Containment", so Kromp. Die üblichen Richtlinien für den Ernstfall fehlten überhaupt, die der internationalen Atomenergieagentur zur Erdbebensicherheit seien nicht angewandt worden.

Zudem gebe es Dampfleitungen, die sich mangels Betonabtrennung zwischen ihnen bei einer allfälligen Explosion gegenseitig beschädigen könnten.

Auch dem grundsätzlichen Lob für die Sicherheit der Kernenergie, wie es Rauch unter Hinweis auf internationale Studien formuliert hat, widerspricht Kromp klar: "Das ist", so der Risikoforscher im Gespräch mit dem STANDARD, "mit der Literatur nicht zu klären. Nimmt man nur Kilowatt stunden durch Tote in der Vergangenheit", räumt er aber ein, "mag Rauch Recht haben."

"Selbstmord"

Kromp will den Betrieb eines Atomkraftwerks aber nicht isoliert sehen. Und urteilt: "Zwei Dinge sind zu fürchten: das ungelöste Problem abgebrannter Brennstäbe und ein Unfall" – mit oder ohne Terrorhintergrund. Für Anschläge stellten AKW ein hervorragendes Ziel dar: "Sie sind symbolträchtig, stehen für Fortschritt. Sie sind funktional wichtig – die Lichter gehen aus." Zudem förderten sie weiteres Schadenspotenzial.

Der erste Gefahrenpunkt, der Atommüll, müsste "Millionen Jahre von der Biosphäre ferngehalten werden", weiß Kromp. Weder die Geologie von "Endlagerstätten" noch menschliche (Kontroll-)Institutionen würden dieser Aufgabe gerecht. Selbst die katholische Kirche bestehe erst seit zwei Jahrtausenden.

Der Forscher plädiert daher zur Risikominimierung für Dezentralisierung. "In unsere Welt wachsender Ungleichheiten derart vulnerable Strukturen wie Kernkraftwerke zu setzen", so sein Fazit, "ist zivilisatorischer Selbstmord." (DER STANDARD Print-Ausgabe, 14.11.2001)