Wien - Der zügige Vormarsch der Truppen der Nordallianz in Afghanistan sei "gut für uns und gut für die Welt". Dies erklärte der Geschäftsträger der afghanischen Botschaft in Österreich, Farid A. Amin, am Mittwoch vor der Presse in Wien. Die "Vereinigte Front" kontrolliere nun bereits fast achtzig Prozent des afghanischen Territoriums, während sie vor der Offensive nur rund zehn Prozent in dem mehrheitlich von den Taliban beherrschten Land kontrolliert hatten. Amin dankte auch der Weltgemeinschaft für den Entschluss, "die Terrornetzwerke zu zerschlagen". Der Krieg gehe in der Taliban-Hochburg Kandahar weiter, fügte er hinzu. Eine wichtige Rolle beim Vormarsch der Nordallianz hätten auch die gleichzeitigen Volkserhebungen in mehreren Landesteilen gespielt. "Werden Taliban bis in die Höhlen verfolgen Der afghanische Diplomat erwartet nicht, dass die Taliban nach ihrem Rückzug einen langen Guerilla-Krieg führen werden. "Unsere Truppen werden keine Schwierigkeiten haben, sie bis in die Höhlen zu verfolgen", sagte Amin. Seinen Optimismus gründete er darauf, dass jede kämpfende Gruppe breiter Unterstützung bedürfe. Wenn die Taliban nicht von der breiten Mehrheit des Volkes unterstützt würden, "sollten sie zusammenpacken und das Land verlassen". Der Geschäftsträger schloss nicht aus, dass sich der von den USA als Hauptterrordrahtzieher gesuchte islamistische Extremist Osama bin Laden bereits in Pakistan aufhalte. Umgekehrt ging er davon aus, dass sich der Taliban-Führer Mullah Muhammad Omar noch in Afghanistan aufhalte, um die Taliban nicht zu demoralisieren. Zahir ist eine Integrationsfigur Wer an der Spitze der geplanten Übergangsregierung stehen solle, könne man vorerst nicht sagen, so der Geschäftsträger. Er erinnerte daran, dass die Vereinigte Front (Nordallianz) Kommandanten der verschiedenen ethnischen Gruppen einschließe und auch Vertreter der Bevölkerungsmehrheit der Paschtunen in ihren Reihe habe. Zur Rolle des früheren Königs Mohammed Zahir Schah meinte Farid, dieser habe selbst eine Rückkehr als König ausgeschlossen, stelle aber "eine Integrationsfigur für die Afghanen" dar. Keine Rolle in der künftigen Rolle dürfe es für den paschtunischen Fundamentalistenführer Gulbuddin Hekmatyar geben. Amin: "Dann würde ich meine Demission einreichen." Hekmatyar sei "ein Agent, ein Feind unseres Volkes". Einrücken der Nordalliant sollte Sicherheitsvakuum verhindern Zum Einmarsch in Kabul, der im Ausland verschiedentlich auf Kritik stieß, sagte der Diplomat, das Vorrücken der Nordallianz in die Hauptstadt sei notwendig gewesen, um ein Sicherheitsvakuum zu verhindern. Die Taliban hätten über Nacht Kabul verlassen, weshalb Sicherheitskräfte der Nordallianz eingerückt seien. Die 5.000 bis 6.000 Mann sorgten dort für Sicherheit und Ordnung, militärische Verbände der Nordallianz mit schwerer Artillerie seien jedoch nicht in Kabul eingerückt. In der Frage von internationalen Peacekeeping-Forces zeigte sich Amin skeptisch. Wenn die Sicherheit gewährleistet sei, erübrige sich die Entsendung solcher Kräfte. Doch schloss der Diplomat den Einsatz von Friedenstruppen aus einem islamischen Land nicht aus. Namentlich nannte er die Türkei. Massaker von Mazar-i-Sharif untersuchen Reserviert äußerte sich Farid über Berichte, wonach es bei der Einnahme von Mazir-i-Sharif zu Massakern mit mehreren Hundert Toten gekommen sei. Diese Berichte seien noch unbestätigt, auch die Hilfsorganisationen, welche sie weitergaben, hätten sie aus zweiter Hand. Möglich sei, dass die Nordallianz dort beim Einmarsch auf harten Widerstand der Taliban gestoßen sei. Es müsse genau untersucht werden, ob es sich bei den Opfern um bewaffnete Kräfte oder um Zivilisten handelte. Kritik an Pakistan Kein Hehl machte der afghanische Diplomat aus seiner kritischen Haltung gegenüber Pakistan, das die Taliban hatte groß werden lassen. Jetzt verlange Pakistan eine internationale Friedensstreitmacht für Afghanistan. "Wenn die Menschen sich sicher fühlen, brauchen sie keine peace-keeping forces", so der Diplomat. Dementsprechend habe der Einmarsch der Nordallianz in Kabul auf die Sicherung von Recht und Ordnung abgezielt. Pakistan, das selbst eine beträchtliche Paschtunen-Volksgruppe hat, bringe Vorbehalte wegen der Multiethnizität Afghanistans vor, in einer "Reaktion aus dem Bauch, nicht aus dem Kopf". (APA)