STANDARD: Wie sehen Sie das Lavieren der österreichischen Regierung in der Temelín-Frage bei der EU-Erweiterung? Brok: Wir können von keinem Beitrittskandidaten mehr verlangen, als wir von einem Mitgliedstaat verlangen. Dies gilt auch für Temelín. STANDARD: Was halten Sie dann von Bundeskanzler Wolfgang Schüssels Vorschlag, nukleare Sicherheit in die Beitrittsverträge hineinzuschreiben? Brok: Man kann die Tschechen nicht dazu zwingen. Man kann nicht Sonderregeln nur in die Beitrittsverträge hineinschreiben. Verhandelt wird nur der Acquis communautaire (die Gesamtheit der existierenden EU-Regeln, Red.). Wenn die Tschechen um des lieben Friedens Willen im Rahmen des Melker Prozesses sagen, wir machen hier bestimmte Kompromisse, dann ist das eine tschechische Angelegenheit. Aber wir im Europäischen Parlament machen davon nicht den Beitritt abhängig. STANDARD: Wie beurteilen Sie die Positionen in Österreich? Brok: Man muss wohl sehen, dass Schüssel nach vernünftigen Auswegen sucht, weil Schüssel ja der Verantwortungsbewusste in dieser Frage ist - und auf der anderen Seite die populistische FPÖ. Und die SPÖ, die dort eine Politik betreibt, die ein Europathema für parteipolitischen Kleinkram benutzt, um die Koalition unter Druck zu bringen. Man muss sehen, dass aus den Beitrittsverhandlungen ein historischer Wurf und nicht eine Funktion parteipolitischer Innenpolitik wird. STANDARD: Kommissionspräsident Romano Prodi sagt, jetzt sei die Zeit für eine Vergemeinschaftung der nuklearen Sicherheit günstig wie nie. Brok: Ich weiß nicht, wie die Franzosen und Briten das sehen. Es ist natürlich auch ein Problem der militärischen Anwendung: Frankreich und Großbritannien sind Atommächte. Die Definition der Standards gemeinsam zu machen wäre ein klassischer Bereich für die Gemeinschaft. STANDARD: Angesichts des Londoner "Mini-Gipfels" und des deutsch-französisch-britischen Treffens vor dem Gipfel von Gent: Haben die Großen der EU die Macht an sich gerissen? Brok: Ich glaube, dass sie dadurch die Kleineren eher nur wach gemacht haben. Es ist ein Bewusstsein geschaffen worden, dass die Direktoratslösung nicht stattfinden soll. Ich glaube, dass von einer Reihe von Kleinen erhebliche Gegenwehr kommen wird und auch Parlament und Kommission in dieser Frage enger zusammen rücken werden. Ich glaube, sie haben einen großen Fehler gemacht. STANDARD: Wohin führt das? Brok: Der Druck wird wachsen, auch in der Außen- und Sicherheitspolitik die Gemeinschaftskomponente zu verstärken.