Foto: Zomba Records
The White Stripes
White Blood Cells
(Zomba)
Das Detroiter Duo The White Stripes alias Jack und Meg White prügelt den Rock'n'Roll auf seinem Debütalbum "White Blood Cells" in den Dreck zurück. Zu viel weiß? Man weiß es nicht.
Von Christian Schachinger
In Ermangelung neuer hängeschultriger Schlaffsäcke aus dem eigenen Anbau, und weil der Haaransatz aufgrund zu vieler dünn machender Substanzen bei Oasis auch immer höher rutscht, werden die Detroiter White Stripes neben den Strokes aus New York von der noch immer Trends zumindest mitbestimmenden britischen Musikpresse als derzeit größte weiße Hoffnung jenes Rock'n'Roll zu Himmel, Mond und Sternen hoch gehypt, der nicht im Sinne der harmoniesüchtigen Beatles, sondern im Sinne der Riffe rüpelnden Rolling Stones interpretiert wird. Alle paar Jahre eine beherzte Faustwatschen aus Amiland hat den Engländern mit ihrer Moll-Akkord-und Tempo-Tachiniererei noch immer gut getan. Die neuen schlaffen Travis, Embrace, Starsailor finden sich dann nur allzu früh ohnehin wieder auf den Titelseiten. Die derzeitige Hysterie bei den Strokes und den White Stripes, die noch jeweils ohne einen einzigen Tonträger am Start gehabt zu haben, im Sommer schon Aufmachergeschichten in allen britischen Trend-Blättern hatten, ist zumindest im Falle der Strokes komplett überzogen: reiche Gören von Model-Agenturbesitzern und Plattenfirmen-Managern, die, anstatt ihr Erbteil sinnvoll in Südfrankreich mit magersüchtigen Models zu verpulvern, im Schweizer Internat beschließen, lieber so richtig abgefuckte Punkrocker im New Yorker East Village zu werden und dann klingen, als ob Tom Petty gerade einen schlechten Tag gehabt hätte, weil er Iggy Pop beim Joggen begegnet ist. Anders verhält es sich bei den White Stripes. Erstens kann sich das Geschwisterpaar Jack und Meg White in die Detroiter Bruchbuden, in denen es unfreiwillig haust, von Mami und Papi keine Care-Pakte schicken lassen - weil sich White Trash im Zweifel selbst am Nächsten ist. Zweitens beschränkt sich ihr Ansatz nicht darauf, mit maximalem Aufwand Musik nicht nur alt wie Stein klingen zu lassen, sondern das Ganze auch noch möglichst schäbig aufzunehmen. The White Stripes kommen ihrem künstlerischen Impetus, welcher sich weniger an "Punk" orientiert als an einer von klassischem Rock'n'Roll beeinflussten Hau-drauf-und-Schluss-Haltung, vor allem damit näher, dass hier nicht versucht wird, etwaige Mängel als Mehrwert zu interpretieren. The White Stripes als moderne Variante von Hänsel und Gretel aus dem Garagen-Proberaum dreschen ihre oft an große Rock'n'Roll-Wahnsinnige wie Jon Spencer, Jeffrey Lee Pierce, Hasil Atkins oder den Legendary Stardust Cowboy erinnernden Songs mit großer Verve und einem verinnerlichten Bekenntnis zur Primitivität so herunter. Das klingt nicht nach Schadensbegrenzung, das klingt nach dem wahren und einzigen Ding. ROCK! Dazu reichen ein Schrott-Schlagzeug, eine billige Pfandhaus-Gitarre und eine Quengelstimme, die zwischen Härte und Jammerei die Balance wahrt: "I think I smell a rat." Kartätsch! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. 11. 2001)