Peking - Drei künstlich zu errichtende Wasserstraßen, jede weit mehr als tausend Kilometer lang, sollen Chinas wasserarmen Norden vom Süden her versorgen. Das Milliardenprojekt, das - wie schon der Drei-Schluchten-Staudamm - massiv in das fragile ökologische Gleichgewicht eingreift, vertreibt Hunderttausende Menschen. „Wir sind so weit“, verkündete dieser Tage Vizewasser bauminister Zhang Jiyao in Peking für das seit Jahrzehnten diskutierte Projekt „Nan shui Beidiao“ (Wasser aus dem Süden für den Norden). Die Westroute steht noch nicht fest, aber schon nächstes Jahr soll mit dem Bau der 1150 Kilometer langen Ost route und mit der ersten Phase der 1246 Kilometer langen Mittelstrecke begonnen wer den. Das ist, als wollte man siebenmal die Donaustrecke durch Österreich künstlich er richten. Zhang begründete die im mensen Eingriffe in die Natur mit der Notwendigkeit, das Wassernetz gleich zu planen wie die Verbundsysteme für Strom und Verkehr. Die Ka näle sollen ab 2010 Chinas trockenen Norden mit 12,9 Mil liarden Kubikmetern Wasser aus den Flussgebieten südlich des Yangtse, wo vier Fünftel der Wasservorräte des Landes konzentriert sind, entlasten. Grundwasserproblem Derzeit verbraucht der Nor den jährlich 12,8 Milliarden Kubikmeter Wasser, von de nen er jetzt schon rund ein Drittel dem Grundwasser er satzlos entziehen muss. Die Folgen sind katastrophal. In Metropolen wie Peking und Tianjin fällt der Grundwasser spiegel jährlich um mehr als 70 Zentimeter. Der Ostkanal wird vom Yangtse-Strom bei Nanking ausgehen und nutzt den stark verunreinigten Kaiserkanal. Das Wasser muss mehrfach technisch kompliziert bis auf 65 Meter Höhe gebracht werden, um bis nach Tianjin fließen zu können. Riesige Pipeline Die Mittelroute führt im natürlichen Gefälle von der Pro vinz Hubei nach Peking. Auf diesem Weg quert das Wasser nicht nur mehr als Eisen bahnstrecken, in einer Pipe line (Durchmesser: 8,5 Me ter) unterquert es auch den Gelben Strom über eine Dis tanz von zehn Kilometern. Für den Bau der umgerech net rund 350 Milliarden Schil ling (55,44 Milliarden Euro) verschlingenden Kanäle müs sen Hunderttausende ihre Heimat verlassen. Allein von der Mittelroute werden mehr als 370.000Menschen betrof fen sein. Die Wasserbauer bestreiten negative Einflüsse auf das ökologische Gleichgewicht der Ströme. Die Mittelroute würde dem Yangtse-Strom im Oberlauf nur vier Prozent und die Ostroute dem Strom im Unterlauf kaum ein Prozent Wasser abzapfen. Dagegen würden die Kanäle den Was sermangel im Gelben Strom mildern, den Grundwasser spiegel im Norden schützen und die Wasserqualität im Norden verbessern können. Mit einer drastischen Erhö hung der Wasserpreise wollen die Planer die Kosten selbst fi nanzieren und zugleich An reize schaffen, Wasser effizi enter zu nutzen und einzuspa ren. Schon ab 2005 soll ein Kubikmeter Wasser in Peking umgerechnet etwa neun Schil ling (0,65 Euro, halb so viel wie in Wien) kosten statt bis her knapp vier Schilling. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD Print-Ausgabe 16.November 2001)