Kosovo
Urnengang gegen die Machtfülle der UNO
Die Albaner wählen Selbstständigkeit, die Serben Sicherheit
Der Kosovo wählt, und der
Urnengang ist etwas Besonderes: Nicht Parteien konkurrieren in Wirklichkeit, nicht
einmal Volksgruppen, sondern die Kosovo-Albaner stehen gegen die ausländischen
Verwalter. "Nach dem Wahltag wird hier die Konkurrenz
zwischen den Parteien und
der UNO ausbrechen", prophezeit Blerim Shala, Chefredakteur der Zeitung Zeri und
gefragter Analytiker der kosovarischen Verhältnisse.
Das sei auch ganz normal.
Schließlich seien die Parteien
dann demokratisch legitimiert, während Gouverneur
und der Kosovo-Verwalter des
Westens Hans Haekkerup
über "eine von niemandem
kontrollierte Machtfülle" verfüge. Dass zumindest die Parteien nicht ernsthaft konkurrieren, macht schon die lahme
Wahlwerbung deutlich.
Politischer Einfluss
Die Demokratische Partei
PDK plakatiert ihren Hashim
Thaci, die Demokratische Liga
LDK ihren Ibrahim Rugova,
der alle Stürme überstanden
hat. Anders als bei der Kommunalwahl im vorigen Jahr
geht es nicht um konkrete
Pfründe, sondern allein um
politischen Einfluss. Der aber
wird nicht von Konkurrenz
beschnitten, sondern von der
UNO - dem gemeinsamen
Feind vor der Toren der Stadt.
Wie immer der Konkurrenzkampf ausgeht, Verbesserungen sind kaum zu erwarten. Der UNO-Verwaltung ist
es zwar gelungen, in einigen
Bereichen hervorragende Experten anzuziehen. Aber sie
scheitern - wie der Österreicher Michael Daxner, der das
Schulsystem reformieren
wollte - an enormen institutionellen Widerständen.
Schlechter Ruf
Hans Haekkerup hat nicht
nur unter den Kosovo-Albanern, sondern selbst innerhalb der UN-Verwaltung einen schlechten Ruf. Anders
als sein Vorgänger Kouchner,
ein Mann der großen Geste,
geht er so gut wie nie an die Öffentlichkeit und kommuniziert auch im eigenen Büro mit
kaum jemandem. Mitarbeiter
schütteln über seine wenig
protestantische Arbeitsmoral
den Kopf. "Er kommt um elf
und geht um eins in die
dreistündige Mittagspause",
schimpft eine Kollegin.
Rugovas LDK favorisiert
Der frühere dänische Außenminister ist als einziger
mit Ehefrau in den Kosovo gekommen und nutzt, wie versprochen, jede freie Stunde,
mit seinem kleinen Sohn zu
spielen. Alles, was funktioniert, hat mit der UNO-Verwaltung nichts zu tun.
Stärkste Partei wird nach
der Wahl voraussichtlich
wieder Rugovas LDK, eine
amorphe Nationalbewegung
mit enormen Mitgliederzahlen, aber ohne brauchbare
Struktur und klare Führung.
Die "UCK-Parteien" sind besser organisiert, halten aber
nach wie vor Kontakt zum paramilitärischen "Schutzkorps", zu kriminellen Banden aus dem Drenica-Gebirge
und mediokren "Freiheitskämpfern" außerhalb des Kosovo.
Rechtslage ungeklärt
Eine Alternative zur allmählichen Machtübergabe an
die Albaner gibt es nicht. "Ändert sich nach dem 17. November nicht die Kompetenzverteilung zwischen UNO und
lokalen Strukturen", meint
Chefredakteur Shala, "dann
kommt es zu unerquicklichen
Konflikten." Zwar hat das
Land seit dem vorigen Jahr einen "Verfassungsrahmen",
der mit der Wahl am Samstag
ausgefüllt werden soll. Aber
nirgendwo steht, welche
Rechte die neuen Organe haben.
Doppelt besetzte "Ministerien"
Die Souveränität liegt bei
der UNO, die letzte Entscheidung liegt damit immer bei
Haekkerup. Die Abteilungen
der Übergangsverwaltung, die
"Ministerien", sind doppelt
besetzt - je ein Kosovare und
ein Ausländer. Zurzeit sitzen
die Kosovaren vor leeren
Schreibtischen und müssen
für jeden Schilling, den sie
ausgeben wollen, die Sekretärin ihres ausländischen "Co-
Head" fragen. Eine Entwicklung zu mehr Verantwortung
ist bisher nicht zu erkennen.
Will die UNO-Verwaltung
sich irgendwann überflüssig
machen, setzt sie gleich nach
der Wahl ein Zeichen und organisiert sich gründlich um.
Aber selbst zum allmählichen
Verschwinden ist der Apparat
wohl einfach zu träge. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 16.11.2001)