Kabul - Die Stadt Kandahar, in der eine Delegation afghanischer Stammesführer mit den Taliban über eine Kapitulation verhandeln will, hat in der Geschichte Afghanistans eine wichtige Rolle gespielt. Die zweitgrößte Stadt des Landes ist die Hochburg der Taliban - ob sie nun von den Oppositionstruppen eingenommen wurde, blieb am Donnerstag zunächst unklar. Gleich zu Beginn ihres Luftkriegs gegen die Taliban bombardierten die USA deren Machtsymbole in Kandahar: Das Hauptquartier sowie die Residenzen von Taliban-Chef Mullah Mohammed Omar und Extremistenführer Osama bin Laden wurden zerstört, ebenso die örtliche Zentrale der Religionspolizei. "Als sich die Nachricht von der Zerstörung der Polizeiwache verbreitete, tanzten die Leute in der Straße", berichtete ein Zeuge. Heute ist Kandahar eine Geisterstadt. Von den 200.000 Einwohnern sind 80 Prozent geflüchtet, es gibt kein Wasser und keinen Strom mehr. Den lokalen Radiosender haben die USA besetzt, seitdem läuft dort nur noch Musik. Die rund 500 Kilometer südöstlich von Kabul gelegene Stadt verdankt ihren Namen Alexander dem Großen, der sie im 4. Jahrhundert vor Christus gründete. Im 18. Jahrhundert machte Ahmed Shah Durrani, der Gründer der ersten afghanischen Königsdynastie, Kandahar zur Hauptstadt seines riesigen Emirats. Sein Sohn Timur Shah verlegte die Hauptstadt dann nach Kabul. Immer wieder war das Handels- und Pilgerzentrum in der Folgezeit Schauplatz schwerer Gefechte: Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen den britischen Besatzern und dem afghanischen Widerstand, ab den 70er Jahren zwischen Mudschahedin und Roter Armee, dann zwischen den rivalisierenden Mudschahedin-Gruppierungen. 1994, zwei Jahre nach dem Sturz von Moskaus Statthalter Nadschibullah, errichtete die bis dahin weitgehend unbekannte Taliban-Miliz in Kandahar ihr Hauptquartier. Von dort aus traten die von Pakistan ausgebildeten und vom CIA unterstützten "Religionsschüler" ihren Siegeszug durch das Land an. Seitdem geriet Kandahar immer wieder in die internationalen Schlagzeilen: Dort endete Silvester 1999 die Entführung einer indischen Passagiermaschine, dort versuchten im März arabische Islam-Gelehrte vergeblich, die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamijan zu verhindern. In Kandahar bemühte sich dann am 17. September eine pakistanische Delegation, den drohenden Luftkrieg der USA aufzuhalten und die Taliban zur Auslieferung Bin Ladens zu bewegen, den die USA hinter den Terroranschlägen vom 11. September vermuten. Vielleicht wird Kandahar bald wieder Schlagzeilen machen: Als Ort der Kapitulation der Taliban und Ausgangsort des Wiederaufbaus. (APA)