Ökologie
Häupl: "Veto gegen Temelín ein Schwindel"
Wiens Bürgermeister wirft der FPÖ im STANDARD-Interview doppelbödige Politik vor
Standard: Wie haben Sie seinerzeit bei Zwentendorf votiert?
Häupl:
Ich war einer der Aktivisten der "Sozialisten gegen Kernenergie".
Standard:
Welche Strategie empfehlen Sie als langjähriger Atomgegner jetzt der Regierung in der Frage Temelín?
Häupl:
Temelín ist keine bilaterale Frage. Ich befinde mich damit im Gegensatz zur Meinung des Herrn Kommissionspräsidenten Prodi. Temelín ist, so wie Mohovce, Bohunice und viele andere Kernkraftwerke in Europa ein europäisches Thema. Man muss nämlich den Hintergrund sehen: Ohne das Geld der Europäischen Bank für Wiederaufbau gäbe es die AKW nicht. Daher hat Europa auch die Pflicht, beim Ausstieg aus der Atomkraft mitzuhelfen. Ich wünsche mir die Nulloption für alle Kernkraftwerke in Europa. Das gilt natürlich auch für Temelín.
Standard:
So weit, so gut. Aber wie kommt man zum Ziel?
Häupl:
Bis jetzt gibt es keine ernst zu nehmenden Schritte der Bundesregierung, um diese Frage anzugehen. Die Initiativen sind kindisch oder nicht existent, obwohl es ohnehin schon fast fünf nach zwölf ist.
Standard:
Da Sie so strikt gegen die Atomkraft sind, müsste Ihnen die Vetodrohung gelegen kommen.
Häupl:
Die Vetodrohung ist ein vollkommener Unsinn. Denn Temelín wird bei einem Nichtbeitritt der tschechischen Republik zur EU noch viel gefährlicher, als es jetzt der Fall ist. Es wäre dann für Europa völlig out of control, außerdem wird die ökonomische Situation Tschechiens bei einem Nichtbeitritt schlechter. Dadurch wird man dann noch mehr an diesem Kernkraftwerk hängen. Es unterliegt dann keinerlei europäischem Reglement, und falls die Franzosen das Kraftwerk kaufen wollen, werden sie dort ihre Sicherheitsinvestitionen höchstwahrscheinlich nach tschechischem Recht tätigen und nicht nach dem, das die EU vorschreibt.
Summa summarum: Temelín ist ein gefährliches Kernkraftwerk. Ich bin dafür, dass es geschlossen wird, aber ich bin dafür, dass Tschechien der EU beitritt, denn ohne Beitritt wird Temelín noch gefährlicher.
Standard:
Die FPÖ sagt, mit der Vetodrohung könne man den nötigen Druck auf Tschechien ausüben.
Häupl:
Der Druck auf Tschechien ist so nicht haltbar. Am Ende des Tages wird ein Konflikt innerhalb der EU selbst stehen, denn es müssen ja alle 15 Staaten zustimmen. Und am Ende des Tages wird Temelín trotz Vetodrohung weiter bestehen.
Standard:
Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer verlangt wieder einmal einen nationalen Schulterschluss.
Häupl:
Das ist völlig absurd, da es inhaltlich ja einen Konsens aller Parteien gibt. Nur über den Weg dorthin gibt es unterschiedliche Meinungen. Das ist ja auch kein Wunder. Denn primäres Anliegen der FPÖ ist nicht die Schließung Temelíns, sondern die FPÖ benutzt das Thema als Werkzeug zur Verhinderung der Erweiterung der Europäischen Union. Daher ist das Volksbegehren ein Schwindel.
Standard:
Ist das Ihrer Meinung nach die Sollbruchstelle der schwarz-blauen Koalition?
Häupl:
Es war sicher nicht so angedacht. Aber die österreichische Außenpolitik hat das Problem zu lange Zeit laufen lassen. Ich kann mich an keine Initiative der Frau Außenministerin in der EU erinnern, das zu einem europäischen Thema zu machen - stattdessen treibt sie sich in Usbekistan herum -, was immer sie dort verloren hat, sie wird es wissen.
Dann steht man natürlich vor der Situation, dass eine Partei wie die ÖVP, die zum Erweiterungsprozess der EU steht, gleichzeitig im Bündnis mit einer antieuropäischen Partei ist. Das ist ein ziemlich schwierig aufzulösender Konfliktbereich. Aber das ist nicht das Problem der Opposition. Ich will diese Regierung ja eigentlich gar nicht. Und was die Rolle der Opposition angeht: Von einer Regierung kann man erwarten, dass sie regiert und konstruktive Vorschläge auf den Tisch legt, was zum Beispiel die Finanzierung Energiewirtschaft der tschechischen Republik anlangt.
Standard:
Auch wenn Sie die Regierung eigentlich nicht wollen, müssen Sie ihr immerhin einen Achtungserfolg zugestehen. Sie hat ihr großes Ziel, das Nulldefizit, bereits heuer erreicht.
Häupl:
Das Nulldefizit ist eine Schönwetter-Ökonomie. Das heißt, wenn Konjunktur herrscht, wenn es allen gut geht und die Auftragsbücher voll sind, dann ist das eine vernünftige Geschichte. Aber wenn sich die Rezession anschleicht, verschärft noch durch die Ereignisse des 11. September, dann muss man gegensteuern.
Standard:
Das heißt also jetzt Defizitspending?
Häupl:
Das, was die Amerikaner über viele Jahre getan haben, sollen wir machen. Das, was der "weltbekannte Kommunist" Greenspan macht, sollen wir tun. Nämlich: Wirtschaft muss man ankurbeln, wenn es in eine Rezession geht. Also machen wir wenigstens nur das, was alle anderen europäischen Länder auch machen. Im europäischen Gleichklang das Nulldefizit erreichen und nicht die Republik kaputtsparen, wie das jetzt der Fall ist. Schauen Sie sich das doch einmal an im Bildungsbereich, im Sicherheitsbereich. Allein in Wien sind 700 Dienstposten für Polizisten nicht besetzt.
Außerdem wird vorhandenes Geld falsch ausgegeben. Nach der Katastrophe von Galtür haben wir gesagt, dass wir Transporthubschrauber brauchen. Was aber tut die Regierung? Sie kauft die Black Hawks. Das sind großartige Hubschrauber, aber Kampfhubschrauber. Die helfen uns, wenn wir ähnliche Situationen wie in Galtür haben, erst recht wieder nichts. Und wir werden wieder die Freunde von der Nato fragen müssen, ob sie uns helfen können.
(DER STANDARD, Printausgabe, 17.11.2001)