Die Taliban haben ihr "Gesicht" verloren. Abdul Salam Zaeef, ihr Botschafter in Islamabad und dank seiner Medienpräsenz neben Mullah Omar der wohl prominenteste Taliban, ist überstürzt zu "Konsultationen" nach Kandahar abgereist. Ob er dort auch angekommen ist, weiß man nicht. Aber in Pakistan kann er als Botschafter auch nicht bleiben: Islamabad stufte die letzte bestehende Taliban-Botschaft zurück, künftig soll sie nur noch von einem Geschäftsträger geleitet werden. Wie lange noch, ist eine andere Frage. "Gehst du heute auch zu Dick und Doof?", spotteten Journalisten in der pakistanischen Hauptstadt. Gemeint war damit die tägliche Pressekonferenz in der Taliban-Botschaft. Mit Dick war der gut genährte Botschafter gemeint. Die Rolle seines Partners wurde von seinem etwas schlankeren Übersetzer gegeben, der mit seiner Augenbinde stets eine etwas traurige Figur machte. Weil von Ober-Taliban Mullah Omar nur ein einziges, reichlich grobkörniges Bild existiert, war es der bärtige Zaeef, der den Taliban ein Gesicht gab. Das Gebot, das Foto und Fernsehen bannte, galt für ihn nicht. Aber obwohl er der meistabgelichtete Taliban überhaupt war, weiß man nur wenig über seine Person. Geboren wurde der 34-Jährige wie Mullah Omar in der Provinz Kandahar. Achtzehn Jahre verbrachte er in einer Madrasa im pakistanischen Quetta - wie so viele andere Taliban. Seine religiöse Ausbildung und der daraus resultierende Titel eines Mullahs sind ebenfalls Gemeinsamkeiten, die er mit Mullah Omar teilt. Manchmal war Zaeef in seiner Wortwahl reichlich undiplomatisch - am Schluss zum großen Ärgernis der Pakistani. Er sprach ausgesprochen langsam, fast immer sehr leise und etwas heiser. Und was er sagte, unterstrich er gerne mit Gesten - etwa einem erhobenen Zeigefinger. Er sei beeindruckt, wie ruhig und entspannt der Taliban-Botschafter selbst dann noch wirkte, als bereits amerikanische Bomben auf die afghanischen Städte fielen, meinte kürzlich ein westlicher Diplomat. Nicht nur die fehlende Scheu vor den Kameras unterschied Zaeef von anderen prominenten Figuren der Taliban. Er hatte keine Hemmungen, selbst die Fragen von unverschleierten westlichen Reporterinnen zu beantworten. Denn Zaeef hatte kapiert, was der Rest der Taliban-Führung nicht wahrhaben wollte: Wie wichtig in einem angespannten politischen Klima Öffentlichkeitsarbeit ist. Zaeef hat den Taliban nicht nur ein Gesicht gegeben, sondern ihnen auch eine beachtete - wenn auch nicht immer verständliche - Stimme verliehen. Unverständlich waren jedoch nicht seine Worte, sondern die Inhalte, die er den aus seiner Sicht "ungläubigen" Westlern zu vermitteln versuchte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18. November 2001)