Gerhard Schröder ist kein Mann, dem man ein gestörtes Verhältnis zur Machtausübung unterstellen darf. Zielstrebig - unter Verwendung von Zuckerbrot und Peitsche bis zum politischen Elektroschock - hat er Deutschlands internationale Bündnisfähigkeit erzwungen. Mit der ihm eigenen Brachialität verknüpfte Schröder die Zustimmung des Bundestages und seines grünen Koalitionspartners zu deutschen Militäreinsätzen im Ausland mit der Vertrauensfrage im Parlament und gewann fürs Erste knapp. Die Bundesrepublik soll künftig weder teilungs- noch geschichtsbedingt eine weltpolitische Sonderrolle einnehmen, die organisierte Verantwortungslosigkeit der Deutschen soll ein Ende haben. Das in Europa fest integrierte Deutschland wird jetzt endlich normal, meinen Optimisten, es dürfe jetzt kein Zurück mehr zu Isolationismus und Scheckbucheinsatz geben. Pessimisten hingegen sehen germanische Kämpfer wieder hurra-patriotisch an diversen vordersten Fronten, wobei Gerhard Schröder offenbar den Tambourmajor von US-Präsident George W. Bush geben will. Nun würden die Deutschen wieder ihre Pflicht erfüllen. Schröder selbst hatte leichtes Spiel, er handelte aus einer Win-Win-Position heraus, er konnte nicht verlieren. Hätten sich die Grünen quer gelegt und dem Regierungschef das Misstrauen ausgesprochen, hätte Schröder, ohne mit der Wimper zu zucken, die Koalition für beendet erklärt und Neuwahlen ausgeschrieben. Angesichts ausgezeichneter Umfragewerte, einer maroden christdemokratischen Opposition und der deutschen Eigenheit, sich in Krisenzeiten stramm hinter einer Führungsperson zu versammeln, wäre Schröder ein überzeugender Wahlsieg sicher. Für die Grünen bliebe es hingegen mehr als fraglich, ob sie im Fall von Neuwahlen einen neuerlichen Sprung ins Parlament überhaupt schaffen würden. Deshalb wird es sich auch die bekannt sprunghafte grüne Basis auf den kommenden Parteitagen gut überlegen, die rot-grüne Koalition aufs Spiel zu setzen. Macht tut eben gut, auch den Grünen. Trotzdem dürfen sich die Frauen und Männer um Politstar Joschka Fischer nicht zu früh freuen, Schröder wird die Grünen weiterhin würgen, bis sie blau sind. Ausgesprochenes Vertrauen ist zwar gut, Kontrolle ist aber besser, das weiß Schröder von einem Herrn namens Wladimir Iljitsch Uljanow - besser unter dem Pseudonym Lenin bekannt. Die Grünen werden auch weiterhin an Schröders kontrollierender Kandare gehen, sie sind und bleiben in seinen sozialdemokratischen Augen unsichere Kantonisten. Schon in seiner Zeit als Regierungschef in Niedersachsen ließ Schröder seine grünen Partner über die Klinge springen, sobald er auf (minimale) eigene Mehrheiten zurückgreifen konnte. Wie vertrauensvoll kann eine Koalition jetzt noch zusammenarbeiten, in der der Seniorpartner dem Junior permanent die Pistole an die Brust setzt? Das zeigt einen bekannten Hang Gerhard Schröders zur politischen Sünde: dass er die Zustimmung zu einem Mitmachen, das auf weite Strecken eher ein Mitdürfen ist, mit parlamentarischer Taktik erzwingt, dass er nicht näher erklärte Mitwirkung bei der "Terrorismusbekämpfung" verlangt, ohne eine Debatte über die Auswirkungen zuzulassen. Die Aufgabe der Grünen wäre es gewesen, die Zustimmung zum Krieg nicht von nebulosen Nebensächlichkeiten abhängig zu machen - dafür ist es längst zu spät, die militärische Logik regiert bereits. Die entscheidende Frage wird bestehen bleiben: Wie sehr, in welchen Umfang und wie "bedingungslos" muss europäische Unterstützung für die USA sein? Ist Kritik an Vorgangsweisen zulässig oder werden gegenteilige Meinungen schon als Teil eines terroristischen Aktes verstanden? Der erzwungene Blankoscheck am Scheideweg entmündigt zumindest das deutsche Parlament in einer Existenzfrage Europas und beschleunigt, nebenbei, das Ende der Grünen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18. November 2001)