Der sonst so schüchtern wirkende, bescheiden gekleidete Mann mit dem seidenen Schal und der großen Brille konnte einen Hauch von Triumph nicht verbergen: In Pristina erklärte sich Ibrahim Rugova zum Sieger der ersten demokratischen Parlamentswahlen im Kosovo. Wie immer war seine Stimme leise, und wie immer war eine tiefe Überzeugung herauszuhören, als er bei dieser Gelegenheit die Staatengemeinschaft abermals aufrief, die Unabhängigkeit des Kosovo "auch formal" anzuerkennen. Damit gab er seinen Volksgenossen zu verstehen, dass sie erst bei der Hälfte ihres gemeinsamen Traumes angelangt seien, dass der politische Kampf erst bevorstünde. Den "Gandhi aus Pristina" wird die errungene Macht sicher nicht von seinem Lebensziel - dem unabhängigen Kosovo - ablenken, im Gegenteil. Der 57-jährige Universitätsprofessor, Vater von zwei erwachsenen Kindern, der Literaturwissenschaft in Pristina und an der Sorbonne studierte, denkt in historischen Dimensionen. Er hat eine unglaubliche Geduld und Ausdauer im gewaltlosen Kampf gegen die serbische Repression bewiesen, sein Glaube an das gerechte Ziel der Kosovo-Albaner ist unerschütterlich. Und mehr noch: Der Kosovo sollte für Rugova ein Vereinigungspunkt für alle Albaner werden. Rugovas Ausdauer, seine gewaltlose Politik und sein Charisma machen ihn zu einem unangenehmen Gesprächspartner nicht nur für die EU, die sich einer Selbstständigkeit des Kosovo vorerst widersetzt, sondern auch für Tirana, das Albanien und nicht den Kosovo als das Zentrum aller Albaner in der Region betrachtet. Der überzeugte Pazifist Rugova hat eine völlig reine Weste. Wenn er die Pläne der Staatengemeinschaft in der Region durchkreuzt, wird man ihn nicht einfach abschieben können wie etwa seinen stärksten Kontrahenten, den ehemaligen Führer der "Kosovo-Befreiungsarmee" (U¸CK), Hashim Tha¸ci, den man - sollte er zu unangenehm werden - jederzeit vor das Haager Tribunal für Kriegsverbrechen stellen könnte. Schon zweimal wählten fast 99 Prozent der Kosovo-Albaner im Alleingang Ibrahim Rugova zu ihrem Präsidenten. Diese Wahlen wurden von Belgrad geduldet und von niemandem anerkannt. Nun erlebte Rugova eine doppelte Genugtuung: Belgrad wird ihn als den zukünftigen Präsidenten des Kosovo anerkennen müssen. Und er konnte sich in Friedenszeiten gegen die ehemaligen Kommandanten der U¸CK durchsetzen, die mit ihrem Guerillakrieg letztendlich den Kampf gegen die Serben ausgetragen und gewonnen haben. Tha¸ci hatte das Charisma Rugovas gewaltig unterschätzt, als er ihn vor zwei Jahren zu einem "von der Zeit überholten" Politiker erklärte. (DER STANDARD, Print, 19.11.2001)