Was die Führung der deutschen Grünen auf dem Parteitag kommendes Wochenende erwartet, zeigte die Versammlung der Basis in Rheinland-Pfalz an diesem Samstag. Grünen-Chefin Claudia Roth musste sich persönliche Beschimpfungen anhören. Dem Vorwurf, dass sie selbst noch vor kurzem gegen den Militäreinsatz der deutschen Bundeswehr im Rahmen der Antiterrorallianz demonstriert hätte, hatte die Vertreterin des linken Flügels nichts entgegenzusetzen. Es war den führenden Grünen vor allem um den Machterhalt gegangen, als sie den Großteil der Abgeordneten überzeugten, bei der von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Vertrauensfrage verbundenen Entscheidung für den Militäreinsatz zu stimmen. Ein Nein hätte das sofortige Aus für die rot-grüne Koalition bedeutet. Die Parteispitze hat aber dadurch nur Zeit gewonnen, mehr nicht. Den Ausstieg aus dem Bündnis können die Delegierten des Parteitages immer noch beschließen. Denn: Wie viel Zumutung erträgt die Basis noch? Dass die Partei nach Kosovo zum zweiten Mal einen Kriegseinsatz mittragen muss, ist sicherlich für viele Mitglieder, die sich früher in der Friedensbewegung engagiert haben, zu viel. Segnet der Parteitag die Entscheidung der Abgeordneten nachträglich ab, was durch die Entwicklung in Afghanistan und die vier kalkulierten Abweichler in der Fraktion erleichtert wird, ist das Überleben auch nur bis zur Bundestagswahl im September gesichert. Dann liegt es am Wähler zu entscheiden, ob die "grüne Handschrift", die die Partei bei Projekten der Regierung für sich reklamiert, ausreichend ist. Von den grünen Forderungen aus dem Wahlkampf wurde in Regierungsverantwortung nur wenig umgesetzt. Bleibt die SPD stimmenstärkste Partei, liegt es an Schröder zu entscheiden, ob er Rot-Grün überhaupt noch fortsetzen will. Spätestens seit vergangenen Freitag muss den deutschen Grünen klar sein, dass sie um ihre Existenz kämpfen. (DER STANDARD, Print, 19.11.2001)