Bühne
Der Herr Musik-"Diräktohr" aus dem Skt. Adolf-Wald
Wölfli-Performance im Kasino am Schwarzenbergplatz
Wien - Er nannte sich "Skt. Adolf II.", Herrscher über die
von ihm erschaffene "St. Adolf=Riesen=Schöpfung", die er auf
gigantischen 25.000 Seiten als Gesamtkunstwerk aus Text, Bild und
Musik festgehalten und gefeiert hat: Adolf Wölfli (1864-1930), einem
der bedeutendsten und faszinierendsten Art Brut-Künstler der Schweiz,
widmet das Festival Wien Modern heuer einen Schwerpunkt. In
Zusammenarbeit mit dem Burgtheater gaben am Sonntag Wolfram Berger
und Jon Sass im Kasino am Schwarzenbergplatz ein Text-Konzert unter
dem Titel "0 Grad 0 /000: Entbrantt von Liebes, =Flammen". Weitere Vorstellung
am Donnerstag (22.11.). Stilisierung als Heiliger und Märtyrer
Eigentlich eine schreckliche Geschichte: Als jüngstes von sieben
Kindern in ärmsten Verhältnissen auf dem Land geboren, vom trinkenden
Vater verlassen, mit acht von der Mutter getrennt und brutalen
Leuten zur Aufzucht und Arbeit überantwortet, Tagelöhner, mit 16
wegen zweimaliger versuchter Notzucht mit minderjährigen Mädchen für
zwei Jahre eingesperrt, nach der Haftentlassung Rückfall, Einweisung
in die Irrenanstalt, wo er mit der Diagnose Schizophrenie 35 Jahre
lang bis zu seinem Tod verwahrt bleibt. Ist es ein Wunder, dass
Wölfli sich als Heiliger und Märtyrer stilisiert hat?
Zuhause im Skt. Adolf=Wald
Aber er ging noch weiter. Wölfli dichtete seine bedrückende
Biografie schlicht um in ein abenteuer- und glorreiches Unternehmen
mit utopischer Zukunft. In seinen Schriften bereiste er die ganze
Welt, ja den ganzen Kosmos, kaufte sämtliche eroberte Gebiete mit dem
"Skt. Adolf=Kapital=Vermögen" auf und benannte sie um: Die Schweiz
wurde zu "Skt. Adolf=Wald", der Ozean zu "Skt. Adolf=Ozean", Afrika
zu "Skt. Adolf=Süd". Er erfand sich eine eigene Mythologie und
erweiterte das Zahlensystem bis zur neuen höchsten Zahl "Zohrn".
Seine Texte illustrierte er mit großformatigen Blei- und
Buntstiftzeichungen, in die wiederum Text und Musiknotationen
integriert sind.
"Ehbjä" oder "eh bien"
Wölfli fand noch zu Lebzeiten künstlerische Anerkennung, und er
verstand sich auch selbst als Künstler. Als solcher, als
selbstbewusster Schöpfer seines "Lebenswerks", wird er auch in
Bergers Performance lebendig, wenn er doziert,
immer wieder unterbrochen von "Ebjä" (für das französische "Eh
bien"), sich steigernd in kindliche Begeisterung über das gelungene
Geschaffene. Die mitunter schwer zugänglichen Texte - der
selbsternannte "Musik=Diräktohr" verwendete immer wieder auch
Schweizerdeutsch und lautmalerische Eigenschöpfungen - macht der
Schauspieler durch rhythmische Betonung und schweizerischem Akzent
direkt als Klangkunst erlebbar und verständlich. Jon Sass
improvisiert dazu auf der Tuba und spielt Wölflis heitere-
volkstümliche Melodien.(APA)