Wien - Eine neue Form der Stammzellentherapie als Hoffnungsträgerin: Die wertvollen Mutterzellen finden sich außer im Knochenmark und im Blutkreislauf auch im Nabelschnurblut, dessen dauerhafte Lagerung speziell dafür eingerichtete Blutbanken auch in Europa bereits anbieten, berichteten Medizinexperten bei einem Gespräch mit Journalisten in Wien über zukünftige Einsatzmöglichkeiten von Stammzellen. Dabei bieten sich aus der Sicht des Patienten viel versprechende Perspektiven: Sollte ein Spender im Lauf seines Lebens beispielsweise an Krebs erkranken, könnten ihm dann seine eigenen Stammzellen rückübertragen werden und das durch Chemo- oder Strahlentherapie vernichtete Rückenmark wieder nachbilden. Was Stammzellen so wertvoll macht, ist ihre Eigenschaft, als "Mutterzelle" Tochterzellen bilden zu können, die spezielle Funktionen ausüben können, erläuterte Dr. Martin Imhof von der Abteilung für gynäkologische Endokrinologie an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde am Wiener AKH. Optimismus Der Mediziner ortet bei der Forschung auf dem Gebiet "eine absolute Aufbruchstimmung". Stammzellen aus Nabelschnurblut wiesen gegenüber jenen aus dem Rückenmark oder dem Blutkreislauf einige Vorteile auf: Da sie - durch die Konservierung mittels flüssigem Stickstoff - praktisch "frisch" sind, verfügen sie über eine höhere Teilungsfähigkeit und sind äußerst infektionsarm. Außerdem sei die Entnahme - im Gegensatz zu der für den Spender sehr anstrengenden Gewinnung aus dem Knochenmark, die unter Vollnarkose durchgeführt werden muss - "extrem einfach und ungefährlich", so der Mediziner. Zu den Nachteilen der Methode gehören die umstrittene Anwendung bei Leukämie und der relativ lange Zeitraum, der verstreicht, bis Nabelschnurblut-Stammzellen etwa im Rückenmark die Produktion der für das Immunsystem lebenswichtigen weißen Blutkörperchen aufnehmen. Einsatzmöglichkeiten In der Therapie kamen die Stammzellentransplantationen bisher vor allem bei Krebs- und Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem auf Grund eines Fehlers den eigenen Körper angreift, zum Einsatz: Die wichtigste Gruppe für Transplantationen stellen die Non-Hodgkin-Lymphome (Lymphknotenkrebs), Myelome (vom Knochenmark ausgehende Tumore) sowie Leukämien dar, erläuterte Dr. Eberhard Lampeter, Geschäftsführer des vor vier Jahren gegründeten Biotechnikunternehmens Vita34 aus Leipzig, das als einer von bisher wenigen Anbietern in Europa die Lagerung von Nabelschnur-Blut durchführt. Während in den übrigen Anwendungsgebieten zumeist Stammzellen des Spenders (so genannte autologe Zellen) verwendet werden, sind sie bei der Behandlung von Leukämie nur "zweite Wahl": Hier macht man sich den Vorteil zu Nutze, dass Fremdzellen (allogene Zellen) die im Körper des Patienten verbliebenen Leukämie-Zellen angreifen, es entsteht der so genannte graft versus leukemia-Effekt. Insgesamt wurden in Europa bisher rund 21.000 Patienten mit Stammzellen behandelt: "Die meisten (knapp 15.000) haben ihre eigenen Zellen erhalten", so Lampeter. "Tissue Engineering" Zukünftige Anwendungsmöglichkeiten liegen etwa im Bereich des "Tissue Engineering" - der Herstellung von Geweben aus Stammzellen, oder in der Therapie von Autoimmunerkrankungen wie etwa Diabetes vom Typ I, der vor allem in jungen Jahren auftritt. Dabei werden die Inselzellen zerstört, die im Körper Insulin produzieren. Eine Stammzellentherapie könnte die Insulinspritze einmal gänzlich überflüssig machen: "Man züchtet Inselzellen nach, die eingepflanzt werden und die Funktion der kranken Zellen übernehmen", schilderte der Wiener Gynäkologe Dr. Martin Imhof einen Behandlungsansatz, der derzeit im Labor getestet wird. Auch bei Herzmuskelschäden könnte die Stammzellentherapie völlig neue Wege eröffnen. Die Möglichkeit der Einlagerung von Nabelschnurblut oder zumindest der darin befindlichen hämatopoetischen (der Blutbildung dienenden) Stammzellen bieten derzeit weltweit 16 Unternehmen an, so Lampeter. Vita34 startete vor vier Jahren als erste derartige Blutbank in Europa: "Wir haben bis heute 8.000 Präparate eingelagert." Die Lagerung von Nabelschnurblut kostet bei der Firma derzeit für die ersten 20 Jahre rund 1.800 Euro (24.769 S). Kunden in Österreich müssen auf Grund der längeren Transportwege mit rund 2.000 Euro (27.521 S) rechnen. Weltweit wurden bisher rund 150.000 Nabelschnurblut-Präparate eingelagert. 28 wurden bisher für Anwendungen freigegeben. Planung Eltern, die sich für die Blutentnahme entscheiden, sollten sich zumindest einige Wochen vor dem errechneten Geburtstermin an das Unternehmen wenden, das nach Abschluss eines Vertrages das zur Abnahme erforderliche klinische Material mit der Post samt Informationen für die jeweilige Klinik zusendet. Von der Technik her stelle der Vorgang für entsprechend ausgebildetes medizinisches Personal kein Problem dar, so Lampeter. In Österreich verfügen bereits 53 Kliniken und medizinische Einrichtungen über Erfahrungen im Umgang mit Nabelschnur-Blut. Für das Wiener AKH hat Dr. Imhof einen eigenen Revers für die Patienten erstellt. Nach der Entnahme des Blutes aus der Nabelschnurvene muss das Präparat binnen 24 Stunden mittels Kurierdienst nach Leipzig gebracht werden, um die richtige Lagerung zu gewährleisten. Nach einer gründlichen Untersuchung wird das entnommene Blut schließlich mit einem und in eine Stickstofftank bei Temperaturen jenseits der Minus 160 Grad Celsius gelagert. Die Menge des gewonnenen Nabelschnur-Blutes liegt bei rund 80 Milliliter, so Lampeter. Reichen die dabei erhaltenen Stammzellen mengenmäßig nicht aus, sollen künftig auch Techniken zur Vermehrung der Zellen zur Verfügung stehen. Derzeit sei dies jedoch noch "Zukunftsmusik". Auf Grund der langen Lagerungsdauer hat man sich auch für den - laut Lampeter äußerst unwahrscheinlichen - Fall abgesichert, dass das Unternehmen einmal in Konkurs gehen könnte: Dann würde eine große europäische Versicherung die Lagerung übernehmen. (APA)