Franz West ist heimgekehrt, obwohl er nie weg
war. Auf dem Weg zum Original verirrte er sich
in die Hall of Fame. Er zählt heute unbestritten
zu den wichtigsten Künstlern der Gegenwart.
Was beweist, dass, wer das Wiental überwindet,
potenziell die ganze Welt in der Hand hat.
Das Wiener Museum für angewandte Kunst
zeigt seine neuesten Produkte.
Von Markus Mittringer
Wien - Sex verkauft sich fast so
gut wie West. Das war nicht
immer so. Als Arnulf Rainer
sich schon fast so gut verkaufte wie Sex, war West praktisch
überhaupt nicht zu verkaufen.
Aber da umgab Franz West
auch noch kein Mythos.
Wahrscheinlicher schon eine
Ausdünstung. Der Mythos
sagt, dass in der
Alt Wien
er
Zeit der Gnadenlosigkeit gegenüber der großen Drüse so
manches Stück von West im
Tausch gegen flüssiges Brot
vom Schöpfer zum Wertschöpfer wechselte.
Die Stücke hießen damals
noch nicht "Passstücke", die
Gewinnler aus den trüben
Stunden in der Bäckerstraße,
nennen sich heute gerne
Sammler, eigentlich Förderer,
Pardon, Freunde der ersten
Stunde. So ein Passstück
wechselt heute nicht unter
500.000 S, so eine größere
Collage mit einem Fetzerl
70er-Porno nicht unter
200.000 S die gutbürgerliche
Stube.
Heute fallen einem nach
West und Sex schon unglaublich viele Dinge ein, die sich
gut verkaufen lassen, bis man
irgendwann dann doch noch
auf den Rainer kommt. Irgendwie ist Franz West vom
Wiener Stadtwanderweg
"Vom Talente-Tal übers Genie-Hügerl zur Original-Klamm" abgekommen. Irgendwie konnte er das Jammertal verlassen.
"Unser Franzl"
Und wenn die Tauschhändler der frühen Tage heute
anekdotenreich Tränen der
Rührung über den alten
Freund auf hoch glänzende
Christie's- und Sotheby's-Kataloge vergießen, dann
spürt man bisweilen, dass
selbst sie das "ihrem Franzl"
nicht zugetraut hätten. Und
wenn dieser West dieser Tage
im MAK eine große Personale
hat, dann kann er sich in aller
Gelassenheit denken: "Nutzt's
nix, schadt's nix."
Eine schöne Personale ist es
geworden. Und am Schluss
werden sich wieder alle sehr
gefreut haben. Der Peter Noever, weil der die Herausforderung liebt (der hat sich ja
schon mit Franz Wests Lehrer
Bruno Gironcoli einiges angetan); die direkt oder indirekt
mitschneidenden Händler
und Galeristen; das Kollektiv
an Assistenten und Studenten, dem auch der Chauffeur
angehört, der einen von Wests
"Quattroportes" fährt, was
wiederum die Firma Maserati
freut. Und nicht zuletzt Franz
West selbst, weil ihm, wie
schon der junge Rapper fordert, jetzt endlich Respekt gezollt wird. Und weil er als
Kunstweltstar jetzt den Lebensstandard eines telegenen
Strafverteidigers pflegen
kann, und weiß, dass dieser
sich seidenschalgrün maßanzugblau und ärgert, weil er es
nie auf diesen gewaltigen
Nimbus an Neidern bringen
wird, der den West umkreist.
Franz West stellt im MAK
ein Best-of-Album mit lauter
neuen Songs vor. Das Album
heißt
Gnadenlos
, die beiden
Singleauskopplungen
Weigerung
(ein Mix aus
Drama
und
Kantine
) und
Par Bleu (La Limousine Bleu).
Erstere ist die
ins Monumentale gesteigerte
Interpretation eines in sich geschlossenen Darms, ein
Schasbeschleuniger. Immer
wieder kehrt der faulige Wind
an seinen Ausgangspunkt zurück, kann gar nicht fahren
gelassen werden, muss in alle
Ewigkeit grollend über die Fäkalien streichen - angetrieben
durch die Peristaltik des Wieners, genährt von den Königsberger Klopsen ihres Starkochs. Zum gefälligen Selbstversuch hat Franz West eine
Kant(-ine) aufgebaut und
Reinhard Gehrer serviert dort
allsonntäglich die deutschen
Knödel - zum interesselosen
Wohlgefallen an der Blähung,
die dieser Genuss gnadenlos
einfordern wird.
An einen zweiten Star des
Wiener Gesellschaftslebens
erinnert
Par Bleu (La Limousine Bleu)
: an weiland Maître
Leherb. Der brachte einst die
Wahrheit hinter der sozialistischen Kulturpolitik ans Licht
des Tages, gab den Genossen,
wonach die sich wirklich
sehnten - den Kitsch. Der war
sauteuer, dafür aber durfte
man sich mit ihm ungestraft in
der Öffentlichkeit zeigen. Und
der Meister lieferte dazu noch
frei Haus das Klischée vom
Künstler. Ein Dokument Leherbscher Hochglanzpornographie schmückt die Wirtschaftsuniversität noch heute.
Auf Leherb folgten karge
Jahre konzeptueller Überlegungen. Bis es eben an Franz
West war, dem Begehr wieder
ein "Window of opportunity"
zu öffnen. Die Befriedigung
am Hochglanzverkehr wollte
sich nicht mehr so richtig einstellen, und das freudlose
Strukturdenken allein führte
auch nicht mehr weiter zum
Kommen. Und so gab Franz
West uns das Schmuddelige
zurück, das Schäbige, das Billige, das Unbeholfene: den
Amateurporno, den Pärchenclub im ehemaligen Osten.
Plötzlich durften wir wieder
frönen. Und darin erkannten
wir uns wieder selbst. Die
amerikanische Neigung zu
West mag da, wie bei Anselm
Kiefer, eher masochistisch determiniert sein.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 11. 2001)
Franz West "Gnadenlos" in der
MAK-AusstellungshalleWien 1., Weiskirchnerstr. 3.
21. 11. 2001 - 17. 2. 2002
Mi - So 10 - 18 Uhr, Di 10 - 24 Uhr