Foto: APA/Gerald Zugmann/MAK
Man stelle sich drastisch vor: Nach dem Genuss eingewienerter Klöpse aus Königsberg hätte man einen in sich geschlossenen Darm (siehe Modell): Das ergäbe einen immerwährende Blähung.



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Grafik: STANDARD
Passstück vom Glück
Franz West, ein Wiener Weltstar, Jahrgang 1947, ist "Kopf des Tages".
Franz West ist heimgekehrt, obwohl er nie weg war. Auf dem Weg zum Original verirrte er sich in die Hall of Fame. Er zählt heute unbestritten zu den wichtigsten Künstlern der Gegenwart. Was beweist, dass, wer das Wiental überwindet, potenziell die ganze Welt in der Hand hat. Das Wiener Museum für angewandte Kunst zeigt seine neuesten Produkte.
Von Markus Mittringer
Wien - Sex verkauft sich fast so gut wie West. Das war nicht immer so. Als Arnulf Rainer sich schon fast so gut verkaufte wie Sex, war West praktisch überhaupt nicht zu verkaufen. Aber da umgab Franz West auch noch kein Mythos. Wahrscheinlicher schon eine Ausdünstung. Der Mythos sagt, dass in der Alt Wien er Zeit der Gnadenlosigkeit gegenüber der großen Drüse so manches Stück von West im Tausch gegen flüssiges Brot vom Schöpfer zum Wertschöpfer wechselte. Die Stücke hießen damals noch nicht "Passstücke", die Gewinnler aus den trüben Stunden in der Bäckerstraße, nennen sich heute gerne Sammler, eigentlich Förderer, Pardon, Freunde der ersten Stunde. So ein Passstück wechselt heute nicht unter 500.000 S, so eine größere Collage mit einem Fetzerl 70er-Porno nicht unter 200.000 S die gutbürgerliche Stube. Heute fallen einem nach West und Sex schon unglaublich viele Dinge ein, die sich gut verkaufen lassen, bis man irgendwann dann doch noch auf den Rainer kommt. Irgendwie ist Franz West vom Wiener Stadtwanderweg "Vom Talente-Tal übers Genie-Hügerl zur Original-Klamm" abgekommen. Irgendwie konnte er das Jammertal verlassen. "Unser Franzl"

Und wenn die Tauschhändler der frühen Tage heute anekdotenreich Tränen der Rührung über den alten Freund auf hoch glänzende Christie's- und Sotheby's-Kataloge vergießen, dann spürt man bisweilen, dass selbst sie das "ihrem Franzl" nicht zugetraut hätten. Und wenn dieser West dieser Tage im MAK eine große Personale hat, dann kann er sich in aller Gelassenheit denken: "Nutzt's nix, schadt's nix." Eine schöne Personale ist es geworden. Und am Schluss werden sich wieder alle sehr gefreut haben. Der Peter Noever, weil der die Herausforderung liebt (der hat sich ja schon mit Franz Wests Lehrer Bruno Gironcoli einiges angetan); die direkt oder indirekt mitschneidenden Händler und Galeristen; das Kollektiv an Assistenten und Studenten, dem auch der Chauffeur angehört, der einen von Wests "Quattroportes" fährt, was wiederum die Firma Maserati freut. Und nicht zuletzt Franz West selbst, weil ihm, wie schon der junge Rapper fordert, jetzt endlich Respekt gezollt wird. Und weil er als Kunstweltstar jetzt den Lebensstandard eines telegenen Strafverteidigers pflegen kann, und weiß, dass dieser sich seidenschalgrün maßanzugblau und ärgert, weil er es nie auf diesen gewaltigen Nimbus an Neidern bringen wird, der den West umkreist. Franz West stellt im MAK ein Best-of-Album mit lauter neuen Songs vor. Das Album heißt Gnadenlos , die beiden Singleauskopplungen Weigerung (ein Mix aus Drama und Kantine ) und Par Bleu (La Limousine Bleu). Erstere ist die ins Monumentale gesteigerte Interpretation eines in sich geschlossenen Darms, ein Schasbeschleuniger. Immer wieder kehrt der faulige Wind an seinen Ausgangspunkt zurück, kann gar nicht fahren gelassen werden, muss in alle Ewigkeit grollend über die Fäkalien streichen - angetrieben durch die Peristaltik des Wieners, genährt von den Königsberger Klopsen ihres Starkochs. Zum gefälligen Selbstversuch hat Franz West eine Kant(-ine) aufgebaut und Reinhard Gehrer serviert dort allsonntäglich die deutschen Knödel - zum interesselosen Wohlgefallen an der Blähung, die dieser Genuss gnadenlos einfordern wird. An einen zweiten Star des Wiener Gesellschaftslebens erinnert Par Bleu (La Limousine Bleu) : an weiland Maître Leherb. Der brachte einst die Wahrheit hinter der sozialistischen Kulturpolitik ans Licht des Tages, gab den Genossen, wonach die sich wirklich sehnten - den Kitsch. Der war sauteuer, dafür aber durfte man sich mit ihm ungestraft in der Öffentlichkeit zeigen. Und der Meister lieferte dazu noch frei Haus das Klischée vom Künstler. Ein Dokument Leherbscher Hochglanzpornographie schmückt die Wirtschaftsuniversität noch heute. Auf Leherb folgten karge Jahre konzeptueller Überlegungen. Bis es eben an Franz West war, dem Begehr wieder ein "Window of opportunity" zu öffnen. Die Befriedigung am Hochglanzverkehr wollte sich nicht mehr so richtig einstellen, und das freudlose Strukturdenken allein führte auch nicht mehr weiter zum Kommen. Und so gab Franz West uns das Schmuddelige zurück, das Schäbige, das Billige, das Unbeholfene: den Amateurporno, den Pärchenclub im ehemaligen Osten. Plötzlich durften wir wieder frönen. Und darin erkannten wir uns wieder selbst. Die amerikanische Neigung zu West mag da, wie bei Anselm Kiefer, eher masochistisch determiniert sein. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 11. 2001)

Franz West "Gnadenlos" in der MAK-Ausstellungshalle
Wien 1., Weiskirchnerstr. 3.
21. 11. 2001 - 17. 2. 2002
Mi - So 10 - 18 Uhr, Di 10 - 24 Uhr