Wien - Ein Rundgang durch eine enge, vollgeräumte Wohnung in Downtown Manhattan. Die Videokamera folgt der Mieterin, der Performance-Künstlerin Pat Olesko. Sie öffnet schließlich eine Tür, die zu ihrer Toilette führt. Ein kleines Fenster gibt den Blick auf den wolkenlos blauen Himmel frei. Hier ragten bis vor kurzem die beiden Türme des WTCs empor; ein Orientierungspunkt seien sie gewesen, sagt sie, und unwillkürlich fügt man der Leere das fehlende Objekt hinzu. Jenseits von dessen symbolischer Bedeutung verbinden die ProtagonistInnen von Deborah Shaffers Dokumentation Artists 9-11, einer Auftragsproduktion des ORF, mit dem zerstörten New Yorker Wahrzeichen oft sehr subjektive Erinnerungen; zumindest jedoch nahmen sie es zerstreut als etwas ganz Selbstverständliches wahr. Zehn KünstlerInnen, alle davon wohnhaft in den Neighbourhoods rund um das WTC, hat Shaffer in ihrem Film nun porträtiert, sie in den Wochen nach dem verheerenden Anschlag durch ihren Alltag begleitet. Ihre Reaktion auf den Terrorakt unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von anderen StadtbewohnerInnen. Auf den ersten Schock folgt der Wunsch, das Leben wieder in eine - wenn auch gespaltene - Normalität zu überführen. Nur die Erfüllung gestaltet sich schwierig: Viele von ihnen hausen in Matratzenlagern bei FreundInnen, die bereits in die streng bewachte Zone Zurückgekehrten fürchten die Einsamkeit. Auch die "Wiederaufnahme" der künstlerischen Arbeit gelingt nicht gleich bei jeder/jedem. Ein Musiker, der bei dem Attentat wahrscheinlich seinen Cousin verloren hat, hört die Musik nicht mehr: Was andernorts pathetisch klingt, hier wirkt es durchaus glaubwürdig. Der Ansatz der Dokumentarfilmemacherin, die in ihren Arbeiten bisher stets sozialpolitische Themen wie etwa Menschenrechtsverletzungen in Chile (Dance of Hope, 1989) aufgriff und 1984 für den Nicaraguafilm Witness to War einen Oscar gewann, hebt sich wohltuend von der Flut an TV-Reportagen nach dem Muster "Wie habe ich den 11. 9. erlebt?" ab. Es geht ihr weniger um spektakuläre Berichte als um erste, oft zaghafte Reflexionen des Ereignisses. Darunter finden sich auch differenzierte, weil keineswegs eilfertige politische Einschätzungen. Abgesehen von dem sehr amerikanischen Zusammenhalt innerhalb der Community werden nationale Solidaritätsbekundungen strikt verweigert. Eher ist man geneigt, der US-"Friedens"-Politik ihren Anteil an dem jüngsten Desaster zuzuschreiben. Ihren Schmerz, der sich auch in den Gesprächen immer wieder durchbricht, lassen diese New Yorker jedenfalls nicht instrumentalisieren. (kam/DER STANDARD, Printausgabe 21.11.2001)