Cannabinoide können offenbar auch die Entstehung von Toleranzerscheinungen bei Schmerzpatienten unter Opiat-Analgetika-Therapie hemmen. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass sie nach einem Schlaganfall das Gehirn vor weiteren Schäden schützen. (APA)
Panorama
Österreichs Schmerzforscher fordern Cannabis-Studien
Patienten werden mit Verbot in Illegalität getrieben
Wien - Chronische Schmerzen, Übelkeit, Multiple Sklerose,
Lähmungen, Migräne: Das alles könnten Anwendungsgebiete für
Hanf-Inhaltsstoffe - Cannabis bzw. Cannabinoide - sein. Doch
Patienten, die solche Substanzen anwenden, werden in Österreich wegen
der hohen Kosten für in den USA zugelassene Arzneimittel sogar in die
Illegalität getrieben.
"Österreich hat die Chance, dass das Bundesministerium (f.
Forschung) zusammen mit öffentlicher Förderung diesen Bereich aus der
Kriminalisierung herausnimmt. Wir brauchen eine seriöse klinische
Cannabis-Forschung", erklärte am Mittwoch der Präsident der
Österreichischen Schmerzgesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Hans-Georg
Kress.
Der Hintergrund:
Am Samstag findet in der Bundeshauptstadt das 7.
Internationale Wiener Schmerzsymposium statt. Ein Hauptthema sind
dabei die "Cannabinoide in der Schmerztherapie". Kress: "Es geht
nicht um Joints aus der Apotheke. Cannabis als Heilkraut hat eine
uralte Tradition - in China, Indien, dem Orient, aber auch im alten
Griechenland. Bis 1942 war Cannabis im britischen und amerikanischen
Arzneibuch enthalten und konnte verschrieben werden."
Cannabis und seine Inhaltsstoffe sind nicht einfach Rauschmittel.
Kress, auch Vorstand der Abteilung für Allgemeine Anästhesie und
Intensivmedizin B am Wiener AKH: "Die natürliche Pflanze enthält mehr
als 63 Cannabinoide. Das sind nicht alle psychoaktive Drogen."
Der Rauschzustand steht nicht im Vordergrund
Hauptinhaltsstoff und primär für die Rauschzustände beim Rauchen
von Haschisch verantwortlich ist das Delta-9-Tetrahydrocannabinol
(THC). Daneben sind noch wesentlich: Delta-8-Tetrahydrocannabinol,
Cannabinol und Cannabidiol. Cannabinol ist nur schwach psychotrop,
Cannabidiol gar nicht. Bei diesen beiden Substanzen stehen offenbar
die Schmerz stillenden, Appetit steigernden und Krampf hemmenden
Effekte im Vordergrund, die für die Medizin und die Patienten
interessant sind.
Hohe Importkosten für Cannabis-Präparate
Der Hürdenlauf der Patienten - in Österreich ist kein
Cannabinoid-Präparat zugelassen - ist jedenfalls ausgesprochen
schwierig. In den USA und Großbritannien gibt es "Marinol" und
"Nabilone" als zugelassenes Medikament in Kapselform gegen Erbrechen
und Auszehrung bei Tumor- und Aids-Patienten.
Zwar kann Marinol über Apotheken nach Österreich importiert
werden, doch die bürokratischen Abläufe sind kompliziert. Die
Verschreibung ist ausschließlich auf Suchtgiftrezept und für die
pharmazeutischen Produkte möglich. Die Kosten sind hoch. Dr. Birgit
Frommer von der Abteilung am Wiener AKH: "So kosten 60
Marinol-Kapseln a 2,5 Milligramm 11.000 Schilling bei
durchschnittlich zwei bis vier Kapseln Tagesdosis." Etwas günstiger
ist die magistrale Zubereitung solcher Kapseln in einer Wiener
Apotheke. Doch eine Kapsel kostet dann immerhin auch noch 75
Schilling.
In die Illegalität getrieben
Es besteht laut den Experten der begründete
Verdacht, dass sich österreichische Patienten, die von Cannabis
profitieren, ihr "Medikament" am "Karlsplatz" - also im illegalen
Drogenhandel - besorgen. Dr. Birgit Frommer von der Klinischen
Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin B am Wiener AKH: "Man
kann doch Patienten nicht zumuten, dass sie sich Cannabis auf dem
illegalen Markt besorgen."
Ähnlich der Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft,
Univ.-Prof. Dr. Hans-Georg Kress: "Natürlich werden Patienten aus
Kostengründen in die Illegalität getrieben."
Den Fachleuten geht es nicht um eine "Freigabe" von Haschisch. Ein
Zustand wie in den Niederlanden, wo das Parlament vor kurzem
beschloss, dass Cannabis über Apotheken abgegeben werden darf, sei
gar nicht erwünscht. Kress: "In den Niederlanden wird man gar keine
klinischen Studien mehr durchführen können."
Die Forderungen
In Österreich bestünde aber noch die Möglichkeit, seriöse
wissenschaftliche Untersuchungen auf diesem Gebiet zu machen. Kress:
"Wir fordern eine Versachlichung der Diskussion." Die Anliegen der
Schmerztherapeuten:
Mehr Sachkenntnis und Sachlichkeit in die öffentliche Diskussion
Vorurteilslose, entstigmatisierende (öffentliche, Anm.) Förderung
der seriösen klinisch-medizinischen Cannabis-Forschung in Österreich
Keine generelle Verschreibung von Cannabis
Kostenübernahme der Cannabinoid-Therapie durch die Krankenkassen
bei Patienten mit klinisch nachgewiesenem Nutzen der Behandlung.