Richard Wagner, der zierliche Gigantomane des Gesamtkunstwerkes, hätte sie umarmt. Auch "Karli" Stockhausen, Komponist musiktheatralischer Endlosschleifen, empfindet sie, falls er sie kennt, als Seelenverwandte. Denn die Obsession für die totale Vereinnahmung unserer Wahrnehmung verbindet beide Herrn mit Pink Floyd, diesem Musiklabor der totalen Illusion. Pink Floyd, das war der Versuch, ein Stadion in ein Raumschiff zu verwandeln. Das war ein prätentiöser Tanz der Technik. Vierseitige Beschallung verwirrte unser Trommelfell, der Klang des Geldes klapperte uns rhythmisch um die Ohren, und über uns flog ein riesiges Plastikschwein. Alles war so groß, und wir so bedeutungslos klein - so klein wie die Ameisen auf der Bühne, die sich mühten, von den Dingen, die sie geschaffen hatten, nicht verspeist zu werden. Wirkten ein bisschen wie Toningenieure. Nicht bedeutungslos, aber wie Mittel zum Zweck in einer selbstgebauten Multimediawelt. Diese Überwältigungsästhetik funktionierte so lange, wie das Material, das die Herrn ersonnen, noch Substanz hatte. Wobei unsereins bekennen muss, dass er ein Anhänger der Dark-Side-Of-The-Moon-Wish-You-Were-Here-Phase ist. Sorry.Substanz rechtfertigt also viel. Was warteten wir einst, dass sie endlich aus dem Studio kommen und eine neue Scheibe zum Kauf anbieten! Das dauerte, als ginge es darum, eine Formel für den Weltfrieden zu finden. Oder zumindest einen neuen Papst. Substanz rechtfertigte natürlich auch den Zeitaufwand, den ein Pink-Floyd-Stück brauchte, um zu seinem letzten Takt zu kommen. Wish You Were Here etwa: Da lohnte es sich schon, Schule zu schwänzen, in diese Stimmung einzutauchen, die aus einem Ton geboren wurde und so lange dauerte wie der Satz einer Mahler-Symphonie. Da kam nämlich noch was nach, und wäre ohne dem Vorherigen auch nicht wirklich wirksam gewesen. Die epische Form eines Stücks hatte in den 70ern bei Pink Floyd noch den Inhalt, der die Form trug. Die Form machte Sinn, weil der Inhalt Sinn stiftete. Musikalisch-dramaturgisch. Möge das Stück niemals enden, dachte man! Der Lehrer kann warten. Waren das Zeiten! Mittlerweile lässt sich jedoch nur wiederholen: Pink Floyd haben nach ihrem Ende weitergemacht und so einen Hafen leerer Musikhülsen produziert. Aufwendig designtes Nichts. Davon lässt sich gut leben. Man ist aber nur noch ein Tourneemuseum seiner selbst. Eine Greatest-Hits-Doppel-CD (Sony) ist da so interessant, wie ein neues Produkt von Pink Floyd. Nicht wirklich. Vertieft man sich allerdings in die Compilation, steht man vor einem derben Versuch, die Geschichte umzuschreiben. Die Typen geben also nicht auf! Das Doppelding beginnt zwar mit der Phase der "Unschuld" und schließt mit ihr. Gemeint ist die Arbeit von Syd Barrett - man höre nur wieder einmal Bike, diese durchgeknallte Soundspielerei. Dazwischen geht es allerdings nicht chronologisch zu. Smart werden da Phasen der Qualität mit Phasen des Siechtums gemixt, um eine Gleichwertigkeit des Materials zu suggerieren, die wir nun wirklich nicht sehen können. Wenn man hört, dass nach Money gleich Keep Talking (von The Division Bell) folgt und dann erst irgendwann auf CD Nr. 2 Wish You Were Here, dann weiß man: Hier soll einfach die Tatsache verschleiert werden, dass es über die Jahre hin einen Prozess der Inspirationsausdünnung gab, der die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Band rechtfertigt. Kurzum: Eine chronologische Aufzählung hätte nur Entlarvung gebracht. Eine einzige CD hätte es auch getan, Freunde, Stücke aus The Division Bell, Animals oder The Wall (gut, die Schülerhymne ist eine Ausnahme) als Hits zu bezeichnen, ist eine Beleidigung dieses schönen Wortes. Aber nein, wieder dieser Gigantismus. Ihr lernt es nie! Es war einmal, und es war unbescheiden. Aber gut. Für eine Weile. Gott weiß, warum er im Pop Dinge nur kurz auf hohem Level hält. Auch Pink Floyd konnten die gute Zeit nicht anhalten, wenngleich ihnen dies in manchen Stücken gelang. Zum Raum wurde da die Zeit! Für Augenblicke zumindest. Schluchz! derStandard/rondo/23/11/01