Wien - Ausgangspunkt: das Ende. Norwegens Klippen, ideal für Selbstmord, vereinbart im Internet zwischen zwei Jugendlichen - der Fall einer Österreicherin und eines Norwegers ging im Februar durch die Medien und lieferte den Plot für das gut einstündige Erfolgsstück. Alles hätte bei der österreichischen Erstaufführung von norway.today des Schweizers Igor Bauersima im Volkstheater-Plafond schief gehen können: vom großen Thema "Selbstmord" bis zu den Pathos-Klippen, die in der Inszenierung zu umschiffen sind. Aber es geht. Ziemlich gut sogar. Die (relativ) strenge Regie Martin Schulzes lässt die Sätze des Zweipersonenstücks sich in einem Reflexions-Raum - hellblau neonbeleuchteter, schotterschneebestreuter Glasboden, hellblauer Videoscreen (Bühne: Martina Stoian) - entfalten. Das Stück biedert sich dabei nicht einem Jugend-Jargon an, sondern nimmt die ersten und zugleich letzten gemeinsamen Stunden der beiden Antihelden Anton (Florian Teichtmeister) und Julie (Chris Pichler) zum Ausgangspunkt für kreisendes Nachdenken, wobei ihre Gespräche auch viel Witz und zwischendurch aufflackernde Lebenslust entfalten. Julie und Anton filmen ihre Abschiedsbotschaften auf Video, und es ist ein Höhepunkt der Inszenierung, wie Chris Pichler und Florian Teichtmeister durch das Durchprobieren unterschiedlicher Abschiedsvarianten implizit auch ihre existenzielle Korrektur-Sehnsucht zeigen, beider Gesichter abwechselnd groß und variiert auf der Leinwand. Die Entdeckung - neben der schönen, für Wien untypischen, Stimm-Modulation von Chris Pichler - ist der Reinhardt-Seminarist Florian Teichtmeister. Er spricht den streckenweise philosophischen Text so, wie selten ein Schauspieler spricht, nämlich mit Verstand. Das Nichtsein ist für August ein erstrebenswertes Ziel, nicht die in allen Religionen und Elternhäusern gepredigte Dankbarkeit für eine "geschenkte" Existenz: "Es heißt schließlich: ,am Leben sein', und so war ich auch nie im Leben." Beide schaffen in ihrem Zusammenspiel immer wieder das Umkippen von Reflexion in holpernde Leichtigkeit. Ohne je peinlich zu werden (einige Passagen, bei einer imaginären Liebesszene im Polarzelt, hätten etwas Dramaturgie vertragen: "Du würdest deine Hand auf meinen Oberschenkel legen" - zwar ein vielleicht frommer, aber recht klischierter Wunsch). Der in jeder Hinsicht knappe Abend über zwei jungreife Menschen öffnet einen Raum für Fragen: Warum hören eigentlich die meisten nach der allgemein als Unfallgeschehen betrachteten Pubertät mit dem Nachdenken, mit Unruhe und Zweifel an sich selbst und anderen auf? Sollte man nicht, gedanklich, lebenslang pubertär bleiben, voller Attacke und Aufbruch? (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 11. 2001)