Mensch
Sie sitzen nicht nur im stillen Kämmerlein und reden
Psychoanalyse will die eigenen Grenzen erweitern
Wien - In der Öffentlichkeit hat die Psychoanalyse vielfach
immer noch den Nimbus einer eher verborgenen Arbeit im stillen
Kämmerlein: Zwei Menschen treffen einander immer wieder und über
längere Zeit, wobei einer davon auf einem Sofa liegt. Tatsächlich ist
die Psychoanalyse gerade dabei, die eigenen Grenzen stark
auszuweiten, berichtete Patrizia Giampieri-Deutsch von der
Universität Wien bei einer Pressekonferenz am Donnerstagabend in
Wien. Vom 7. bis 9. Dezember findet in Wien die Internationale
Arbeitstagung "Psychoanalyse als empirische, interdisziplinäre
Wissenschaft" statt.
Theoretische Labor-Forschungen über die eigenen Arbeit sind in der
Psychoanalyse ebenso gefragt, wie verstärkte Zusammenarbeit mit
anderen Disziplinen, etwa Neurowissenschaftern, berichtete die
Wissenschafterin. So gebe es neben der traditionellen
"Online-Forschung" - also die Arbeit direkt am Patienten - auch
zunehmend "Offline-Forschung" in Form einer psychoanalytischen
Psychotherapieforschung. Dabei werden etwa Videos oder Tonbänder von
psychoanalytischen Sitzung unter die Lupe genommen und auch
statistisch ausgewertet.
Was ist zielführend?
Ziel ist etwa die Feststellung, welche Vorgehensweise des
Therapeuten eher zum Ziel führt: "Was fördert Heilung, was verhindert
sie?". So stellt sich laut Giampieri-Deutsch immer mehr heraus, dass
die so genannte genetische Forschung - also die Analyse der
Vergangenheit eines Patienten - im Hinblick auf Heilung weniger
bringt als die verstärkte Focussierung auf die Gegenwart.
Im Zuge der Öffnung arbeiten Psychoanalytiker nun auch verstärkt
in für sie neuen Feldern, etwa mit Patienten mit neurologischen
Störungen. "Man kann bei einem Schlaganfallpatienten zwar nicht
dessen organische Schäden beseitigen, sehr wohl aber dessen
Sichtweise seiner Erkrankung beeinflussen", so die Forscherin. So sei
es möglich, den eigenen Mangel - etwa eine Lähmung - als Teil seiner
Identität zu akzeptieren. Ähnliches gelte für Epilepsie-Patienten
oder Menschen mit Down-Syndrom.
Giampieri-Deutsch betonte, dass die klassischen Methoden - etwa
Verdrängtes aus der Vergangheit wieder ins Bewusstsein zu holen -
deswegen nicht obsolet seien. Sehr wohl würden diese aber durch neue
Erkenntnisse ergänzt. (APA)