Wien - Ali Mohammed Zahma, Professor für Literatur und afghanische Geschichte in Kabul, zuletzt Mitglied der Akademie der Wissenschaften, kam 1985, während der sowjetischen Besetzung Afghanistans, als politischer Flüchtling nach Wien. Mit Lehrverbot und Gefängnis hatte er schon vor den Sowjets Bekanntschaft gemacht, und Demokraten seines Schlags waren auch nach deren Abzug, unter den "Rabbanis", wie er die Mudjahedin nennt, unerwünscht. Liebend gern, sagt Zahma im Gespräch mit dem Standard, würde er Kabul bald wiedersehen. Mit großem Schmerz spricht Zahma, der der schiitischen Gruppe der Hazara angehört, von der jüngsten Geschichte Afghanistans, davon, "was die Taliban unserer Kultur angetan haben". Die Afghanen "ernten die Folgen der Vernachlässigung": Nach dem Ende der sowjetischen Besatzung, während der die Afghanen einen großen Beitrag für die Freiheit der westlichen Welt leisteten, habe diese das Land einfach sich selbst überlassen. Deshalb sei es nur recht und billig, dass sich jetzt die internationale Gemeinschaft um den Wiederaufbau kümmere, das heißt, für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Afghanistans bezahle. Hilfe für die Menschen - und zwar kollektive, nicht die Unterstützung einzelner Gruppen - ist auch der beste Weg, "die Mullahs von der Bevölkerung zu isolieren", dazu gehört für ihn auch der Präsident der international anerkannten Regierung, Rabbani. Am ehesten konzediert Zahma dem Gouverneur von Herat, Ismael Khan, Wandlungsfähigkeit, "er ist besser als die anderen, nicht so dogmatisch". Zahma ist davon überzeugt, dass die Afghanen wissen, dass sie von den alten Warlords nicht Gutes zu erwarten haben, die sich nun in genau jenen Gebieten, die ihnen Mitte der Neunzigerjahre von den Taliban abgenommen wurden, wieder zu etablieren versuchen - aber man dürfe ihnen das Feld nicht überlassen, "sonst werden wir wieder die alten Geschichten haben". Rolle für den König Für den alten König, Zahir Shah, kann sich der Professor für den Moment deshalb durchaus eine Aufgabe vorstellen, wenn auch mehr als Symbolfigur. Das Taliban-Regime sieht er definitiv zusammenbrechen: Erstens sei ein Guerillakrieg in den Bergen nur mithilfe von außen - die es heute nicht mehr gebe - und mit Unterstützung der lokalen Bevölkerung möglich, auch Letztere hätten die Taliban umso leichter verloren, als sie keine Wurzeln in Afghanistan hätten. An ihrem Aufkommen gibt Zahma Pakistan die Hauptschuld. Aber ihre Vorgänger, die "Rabbanis", hätten den Taliban den Boden bereitet. Von der Bonner Konferenz nächste Woche erwartet sich Zahma eine provisorische Regierung, die dann in Afghanistan eine Loya Jirga (Nationalversammlung) einberufen müsste. Wichtig sei natürlich auch eine Einbeziehung der Nachbarstaaten. Es sei die Stunde der Diplomatie. Auf das Phänomen angesprochen, dass viele Frauen auch nach Abzug der Taliban in Kabul die Burka nicht abgelegt hätten beziehungsweise viele Afghaninnen in pakistanischen Flüchtlingslagern die Ganzkörperverhüllung tragen, sagt Zahma: Alles eine Frage der Erziehung, diese Dinge haben keine Macht über Menschen, die Erziehung haben - und Arbeit, darum sei wirtschaftliche Entwicklung so sehr notwendig. Das dritte Element, das nötig sei, "um den Schleier loszuwerden", sei kulturelle Entwicklung. Zahir Schah habe in seiner Regierungszeit versucht, so Zahma, den Mullahs Aufklärung entgegenzusetzen, und es gab eine ganz gute Koexistenz zwischen "Moschee und Politik". In den Siebzigerjahren habe es in Kabul kaum Burkas gegeben, auf dem Land natürlich schon - übrigens wurde sie damals besonders von wohlhabenden Frauen getragen, als Zeichen, dass sie nicht arbeiten müssen.(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25.11.2001)