STANDARD: Sie haben Ihre Kritik und Zerrissenheit beim Thema Militäreinsatz sehr deutlich gemacht. Warum haben Sie dann im Bundestag für den Einsatz, der mit der Vertrauensfrage von Kanzler Schröder verknüpft wurde, gestimmt?

Vollmer: Ganz einfach. Weil zwei Fragen in einer gestellt waren: eine Sachfrage und der Verbleib in der Koalition. Ich finde nicht, dass ich als einzelne Abgeordnete das Recht habe, mit meiner Stimme die Partei aus der Regierung zu bringen, deshalb habe ich so gestimmt. Persönlich finde ich, dass die Kombination beider Fragen dem Parlament Schaden zugefügt hat. Die ganze Opposition hat das Gleiche gemacht: Sie war in der Sache dafür, hat aber wegen der Vertrauensfrage dagegengestimmt. Man hat selten einen Bundestagsbeschluss gehabt, der so wenig Meinungsaussage widerspiegelt.

STANDARD:Diese Verknüpfung hat es auch auf dem Parteitag im Leitantrag des Parteivorstandes gegeben: Machen die Grünen mit ihrer Basis das, was Schröder mit ihnen gemacht hat?

Vollmer: Mir persönlich wäre es lieber gewesen, die beiden Sachen zu trennen. Es ist klar, dass jeder Delegierte wissen konnte, dass das Koalitionsauswirkungen haben wird. Der Druck hätte auf der Sachfrage gelegen. Man hätte die Freiheit geben können.

STANDARD:Sie haben an Fischer gerichtet gesagt: Rede lieber darüber, was wir von der alten Rolle bewahren können. Das wäre vertrauenerweckend. Was meinen Sie damit?

Vollmer: Es gibt etwas ganz Erstaunliches: Die Bundesrepublik wurde von einem der am meisten gehassten Länder zu einem der geachtetsten. In den fünfzig Jahren, in denen wir gehindert waren, militärisch zu agieren. Da ist uns ein Potenzial zugewachsen als Land, das seine eigene Gewaltgeschichte aufgearbeitet hat. Das ist die Basis für außenpolitisches Vertrauen und diplomatischen Kredit. Ich finde, man darf das nicht verspielen.

STANDARD:Ist die Zustimmung jetzt ein Blankoscheck?

Vollmer: Es ist kein Blankoscheck. Immerhin hat die Fraktion den Antrag des Kabinetts durch die Protokollnotiz im Sinne einer Selbstbindung korrigiert. Auch der Antrag auf dem Parteitag hat deutlich gemacht, was die Grünen mitmachen können und was nicht. Aber es ist in diesen Tagen sehr viel von innerer Ermutigung, von neuen Rollen, von Koalitionsdisziplin die Rede. Letztendlich Sekundärtugenden. Wirklich überzeugen tut man in der Sache: was man erreichen kann mit 3900 Soldaten, damit es nicht einen nächsten Terroranschlag gibt. Das ist die wirkliche Frage. Meine Zweifel daran sind nicht so sehr Gewissensfragen. Ich kann nicht rational an den Erfolg dieser Maßnahmen der Terrorbekämpfung glauben. Europa hat auch Erfahrung im Umgang mit Terrorismus, in Irland und Spanien. Die zeigt, dass man mit militärischen Mitteln den Erfolg in der Regel nicht erreicht, den man sich erhofft. Wenn es zu Fortschritten gekommen ist, dann durch politische Aktivitäten.

STANDARD:Macht Ihnen die neue Rolle, die Deutschland laut Schröder auch militärisch übernehmen will, Angst?

Vollmer: Ich finde, dass das sehr stark inhaltlich begründet werden muss. Ich bin überzeugt, dass auch Schröder nicht überziehen will. Aber er muss anfangen, einen Dialog mit der Bevölkerung zu führen, die zähen Widerstand gegen das neue Engagement hat. Das spürt man. Die Menschen machen sich Sorgen und fragen: Wohin ziehen die uns? Man muss mit den Menschen reden.

STANDARD:Glauben Sie, dass ein Teil der Mitglieder sich nach dieser Entscheidung von den Grünen verabschiedet?

Vollmer: Ich habe die Sorge, dass jetzt einige, gerade von den Radikalpazifisten, gehen werden. An die hat Claudia Roth sehr eindringlich appelliert: dass ihre Wirkungsmöglichkeit in dieser Partei größter ist als in jeder anderen. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 26.11.2001)