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Wien - "Soziale Unterschiede dürfen keine Klüfte sein." Diesen Satz stellte Heide Schmidt, ehemalige Bundessprecherin des Liberalen Forums und derzeit Vorsitzende des Instituts für eine Offene Gesellschaft (IOGE), an den Anfang der Diskussion "Zeitenwechsel - Seitenwechsel. Neue Allianzen für eine soziale Gesellschaft". Ihr Stellvertreter, Trend-und Zukunftsforscher Matthias Horx, rechnete mit dem bestehenden Sozialsystem ab. Er warnte: "Wir müssen auch unangenehme Wahrheiten sehen: Wir werden den Sozialstaat, so wie er jetzt konstruiert ist, verlieren, wenn er nicht radikal geändert wird." So müsse das Verständnis des Staates als Versorgungsinstanz beispielsweise neu justiert werden. Die "Überdominanz des Staates" gehöre geändert. Passiert dies nicht, so Horx weiter, werden die "Rechtspopulisten triumphieren", da es nämlich zu neuen Verteilungskämpfen kommen werde. Mit Horx diskutierten am Sonntag in der Wiener Nationalbibliothek unter der Leitung von STANDARD-Wirtschaftsredakteurin Lydia Ninz Walter Ötsch, Volkswirt an der Universität Linz, und Jelena Brajsa, Direktorin der Caritas der Erzdiözese Zagreb. Auch für Ötsch sind die "Grundkonzepte des sozialen Systems in sehr rascher Auflösung". Als Beispiel nannte er die Entterritorialisierung. Der Zusammenhang zwischen Sozialsystem und Raum sei historisch konstruiert und könne daher auch wieder verloren gehen. Caritas-Direktorin Brajsa sprach von ganz anderen Sorgen. Sie erzählte vom Leiden der Bevölkerung an den Folgen des Jugoslawienkrieges. Besonders die mittlerweile erwachsen gewordenen Kinder seien davon noch immer sehr betroffen. Die Situation sei noch schwer, doch sehe man schon ein "helles Licht". Brajsa: "Wir wünschen uns einen starken und gerechten Sozialstaat." Die Vergangenheit könne aber nicht mit einem Besen weggekehrt werden. Sie vermisse oft das Verständnis der so genannten "westlichen Länder". Aufmerksamer Zuhörer war auch der Regierungsbeauftragter für die EU-Erweiterung, Erhard Busek. Er meinte, dass in Anbetracht der Erzählungen von Jelena Brajsa die österreichischen Diskussionen über das Sozialsystem "sekundär und unerträglich" seien. Und stellte zum Schluss die Frage, "ob wir nicht in einem hohen Maße selbstgefällig sind". (pm, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26. 11. 2001)