Demnächst wird die neue Führung des ORF bestellt - aber kein Mensch scheint sich dafür zu interessieren, ob die neuen Leute gut oder schlecht sind und ob sie ein gutes oder ein schlechtes Programm machen werden. Alle Gespräche drehen sich ausschließlich um die Frage, ob die Schwarzen oder die Blauen ihre Favoriten in Position bringen und welche Regierungspartei sich letztlich durchsetzen wird. Wir scheinen bei einem Zustand angelangt zu sein, wo die Partei alles und der Inhalt fast nichts gilt. Nicht nur beim ORF ist das so. Eisenbahn und Telekom, Sozialversicherung und ÖIAG und die meisten Ministerien haben in den letzten Monaten Revirements erlebt und erleben sie noch. Und sogar bei der Causa prima, dem Atomkraftwerk Temelín, scheint es nicht primär darum zu gehen, wie gefährlich die Anlage wirklich ist, sondern darum, welche Partei die leidenschaftlicheren Anti-Temelín-Kämpfer hat. Die Oppositionsparteien durchaus eingeschlossen. Irrtum Seltsam: Die Wende ist seinerzeit von vielen vor allem deshalb begrüßt worden, weil die Leute die Proporz- und Parteibuchwirtschaft während der großen Koalition von Herzen satt hatten. Und nicht wenige meinten auch, Bürgerliche seien von Natur aus großzügiger, wenn es um die Besetzung von Posten mit Personen ohne "Stallgeruch" geht. Die ständige Beschäftigung mit der Frage "Ist das einer von uns?" hat man bisher eher den Sozialdemokraten zugeordnet. Das scheint allerdings ein Irrtum gewesen zu sein. Die (blaue) Basis Aus einem Ministerium wird berichtet, dass einem hoch qualifizierten Beamten ohne Parteibuch die "Kaltstellung" angedroht wurde mit der Begründung: Die (blaue) Basis verlange das. Und selbst in kleinen Kulturinstitutionen achten die neuen Subventionsgeber peinlich darauf, dass sich nur ja kein regierungskritischer Geist in den Vorstand verirrt. Regierungsgenehme, aber professionelle und anständige Leute, "die man vorzeigen kann" und die möglichst wenig Schaden anrichten, sind plötzlich gesucht wie noch nie. Wer als Journalist gut ist, der ist auch unabhängig Und jetzt der ORF: Dass das neue Gesetz gemacht wurde, um die große Medienorgel vom roten Einfluss zu befreien und den schwarz-blauen Einfluss zu verstärken, ist ziemlich unbestritten - 's wär nicht Österreich, wenn die Öffentlichkeit dafür nicht ein gewisses Verständnis aufbrächte. Und 's wär nicht Österreich, wenn nicht alsbald dieser und jener unter den Mitarbeitern plötzlich blaue Sympathien in sich entdeckte, in der Hoffnung auf Aufstieg und Wichtigkeit. Das Arge dabei ist nur, dass die wirklich guten Leute, die der ORF durchaus hat und die guten Jungen, die er vielleicht haben könnte, dabei auf der Strecke bleiben. Wer als Journalist gut ist, der ist auch unabhängig, ganz egal, welche Partei er wählt. Das ergibt sich ganz natürlich aus der Professionalität. Gute Journalisten gehen einfach nicht zu Parteileuten penzen und sie biedern sich auch nicht bei Politikern an. Dabei müssen sie freilich damit rechnen, dass sie die große Karriere, die sie sich vielleicht wünschen und die sie auch verdienen, nicht machen werden. Politiker wollen lieber verlässliche Männer und Frauen von der anderen Partei, mit denen man quid pro quo austauschen und Geschäfte machen kann, als wirkliche Unabhängige. Bei denen weiß man nie, ob sie, wenn es Not tut, nicht auch die von ihnen bevorzugte Partei kritisieren werden. Die Folge ist, dass die Besten unter den Nachwuchsjournalisten schon lange den ORF meiden. Viele streben ins Ausland. Wenn der Druck der Parteien auf alles, was unter öffentlichem Einfluss steht, so weitergeht, ist Not am Mann. Dann geht es mit der Qualität unweigerlich bergab. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.11.2001)