Graz - Es geschah an einem schönen Sommertag des Jahres 1914 im damals noch untersteirischen Marburg, als der dortige Pfarrer, begleitet von wildem Hohngeschrei seiner Schäfchen, in polizeilichen Gewahrsam genommen wurde. Der Priester stand unter Verdacht, Gift in die städtische Wasserleitung geschüttet zu haben. Erst nach neun Wochen Haft stellte sich heraus, dass er beim Trinken aus dem Brunnen ein Medikament ins Wasser geschüttet hatte. Einige Frauen hatten ihn dabei beobachtet und waren sich sicher, dass es sich nur um den Anschlag eines Vaterlandsverräters handeln konnte. Immerhin war der Pfarrer Slowene, wenn auch ein steirischer. Die Kriegserklärung an Serbien am 28. Juli machte die ohnehin deutschnational dominierte Untersteiermark (heute das nördliche Slowenien) für die 90 Prozent steirischen Slowenen der Region zum ungemütlichen Ort. 26 Kapläne wurden allein im Sommer 1914 angezeigt und als Spione und Hochverräter verhaftet. Diese auffällige Häufung aktenkundig gewordener Geistlicher in der Steiermark kurz vor und nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges hat den Grazer Historiker Martin Moll veranlasst, sich mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds diesem Kapitel der österreichischen Geschichte näher zu widmen: "Die slowenischen Kapläne in der Steiermark verkörperten für die Deutschnationalen das Feindbild schlechthin, weil sie als einzige nennenswerte slowenische Elite auf die in der Verfassung verankerte Gleichberechtigung aller Völker und Sprachen der Monarchie gepocht haben." Ihr "Vergehen": Sie haben in ihrer Sprache gepredigt und unterrichtet sowie die Grundrechte eingefordert. Nationales Misstrauen Das grundsätzliche Misstrauen gegenüber der nicht deutschen Nationalität im eigenen Land steigerte sich vor allem in der damaligen Untersteiermark zu einer blinden Denunziationswut, als am 28. Juni 1914 das Attentat in Sarajewo passierte. Fortan wurde jeder als Verräter angezeigt, der auch nur irgendwann eine slowenische oder serbische Zeitung gelesen hatte. Natürlich gab der rabiate Patriotismus einen bequemen Deckmantel auch für private Feindschaften ab. Denunzianten fanden sich überall: in der Nachbarschaft, im Gasthaus, in der Familie, sogar unter den Slowenen selbst. 1000 Polit-"Delikte" Mindestens 1000 nachweisbare Verfahren wegen politischer Delikte zählte der Historiker allein von Mitte bis Ende 1914 in der Steiermark. Erst nach Monaten im Gefängnis stellte sich dann für das Gros der Verhafteten, die bezeichnenderweise zu fast 90 Prozent steirische Slowenen waren, die Unschuld heraus. "Treffen konnte es jeden, und war der Anlass noch so lächerlich", berichtet Historiker Moll: "Wenn einer am Stammtisch seinem Kummer Luft machte, ,dass unser guter Franzl doch schon a bissl alt ist zum Regieren', musste er damit rechnen, am nächsten Tag wegen 'Aufreizung zum Hass gegen den Staat' inhaftiert zu werden." Bekanntermaßen trugen auch die deutschnationalen Medien mit hasserfüllten Artikeln ihren Teil zur Hysterisierung der Bevölkerung bei. Auch die Regierungserlasse nach dem Attentat heizten die antiserbische Stimmung bis zur Paranoia weiter an, etwa indem die Bezirkshauptmannschaften angehalten wurden, Listen von "serbenfreundlichen" Personen zu erstellen. Das Groteske dabei: Es gab keinerlei Unruhen unter den Slowenen - ganz im Gegenteil: Viele zogen sogar mit Begeisterung für den Kaiser in den Krieg! Ohne Konsequenzen Wie die Sache ausging? Nach dem Tod von Kaiser Franz Joseph wurde wegen der Flut von Anfragen zu den Slowenen-Verhaftungen eine Untersuchungskommission eingesetzt. "Da hat man", so Martin Moll, "durchaus gründlich recherchiert. Konsequenzen hatte das allerdings keine." Was blieb, waren zerstörte Karrieren und Beziehungen und nicht zuletzt die innere Abwendung der vormals extrem kaisertreuen Slowenen von Österreich-Ungarn. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27. 11. 2001)