Mensch
Medikamente als "Rettungsanker" bei befürchteter Infektion
Hinweise auf 80-prozentige Wirksamkeit
Wien - "Safer Sex" und auch sonst "Nur kein Risiko
eingehen!" - Das ist der seit nunmehr rund 20 Jahre geltende Rat der
Experten zur Verhütung von Aids-Infektionen. Bei einem "Unfall" aber
gibt es als "Rettungsanker" noch die Möglichkeit der Verhinderung des
Angehens einer Ansteckung mit HIV durch die möglichst rasche Einnahme
von Arzneimitteln.
Für diese "Postexpositionelle Prophylaxe" (PEP) stellen zwei
Pharmaunternehmen Spitälern und interessierten Ärzten jetzt
"Startpakete" zur Verfügung. Dies erklärten am Dienstag bei einer
Pressekonferenz in Wien österreichische Aids-Experten.
"Bitte schreiben Sie, dass man ein Kondom verwenden sollte. PEP
kann aber einen 'Rettungsanker' nach einem beruflichen Risiko, zum
Beispiel bei einer Nadelstichverletzung, oder nach einem
ungeschützten Geschlechtsverkehr darstellen, wenn eine Infektion
stattgefunden haben könnte", erklärte Prim. Dr. Norbert Vetter,
Vorstand der 2. Medizinischen Abteilung am Pulmologischen Zentrum
Baumgartner Höhe in Wien.
Einen wirklich harten Beweis für die Wirksamkeit gibt es nicht.
Doch einige Hinweise deuten doch auf einen deutlichen Effekt einer
solchen Intervention hin. Oberarzt Dr. Armin Rieger von der
Universitäts-Hautklinik am Wiener AKH: "Man hat in retrospektiven
Studien (Kontrolle im Nachhinein, Anm.) durchgeführt. Dabei hat sich
gezeigt, dass die Transmissionsrate von HIV nach
Nadelstichverletzungen durch eine solche Prophylaxe um rund 80
Prozent reduziert werden dürfte."
Übertragung auf den Embryo
Ähnliche Daten gibt es aus der prophylaktischen Anwendung von
Aids-Medikamenten bei HIV-positiven Schwangeren. Hier beträgt die
Übertragungsrate von der Mutter auf das Neugeborene ohne
medikamentöse Vorbeugung 25 bis 30 Prozent. Allein durch die Einnahme
des ältesten Aids-Medikamentes Zidovudin (AZT) sinkt sie auf acht
Prozent. Die Anwendung einer Kombinationstherapie reduziert die
Übertragungshäufigkeit auf weniger als zwei Prozent.
Das "Startpaket" der Pharmakonzerne Merck, Sharp & Dohme sowie von
GlaxoSmithKline besteht aus einer kleinen Ernstfall-Box samt
Informationsmaterial und Aidsmedikamenten mit den Substanzen
Zidovudin (AZT), Lamivudin und Indinavir. Das optimale Vorgehen
möglichen Gefährdungsfall: Ein Spital kontaktieren und bei
begründetem Verdacht mit PEP die Zeit überbrücken, bis man die
Sachlage in einer Spezialabteilung endgültig abgeklärt hat.
Wichtig: Möglichst schnell sollte festgestellt werden, ob der
Partner wirklich ein Infektionsrisiko bedeutete. Nur bei etwa einem
Prozent der Patienten, die Aids-Ambulanzen im akuten Gefährdungsfall
aufsuchen, ist eine vier Wochen dauernde PEP-Behandlung auch wirklich
notwendig. Bei den übrigen stellt sich der "Verdacht" als unbegründet
heraus.
Mag. Claudia Kuderna, Geschäftsführerin der Aids-Hilfe Wien: "Eine
breite Information über PEP ist auch gefährlich, weil einfach
Nachlässigkeit in der Primärprophylaxe die Folge sein kann. Die
Kombinationstherapie wird von Vielen bereits fälschlicherweise als
Heilung von HIV angesehen." Daher: "Safer Sex" und die Vermeidung der
übrigen Infektionsrisiken müssen absoluten Vorrang haben. (APA)