Nach jahrelangen Debatten hat das türkische Parlament vor wenigen Tagen eine grundlegende Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches beschlossen. Die wichtigsten Änderungen betreffen die Stellung der Frau in der Familie.2002 kommt Gleichberechtigung Ab 2002 ist es mit der männlichen Vorherrschaft in der Familie vorbei. Ab dann ist nicht mehr der Mann der Haushaltsvorstand, der über die Geschicke der gesamten Sippe bestimmt, sondern Mann und Frau entscheiden gleichberechtigt über alle Belange der Familie. "Die zweite Revolution für die türkische Frau" nannte deshalb Hürriyet, die größte türkische Zeitung, die Reform und bezog sich damit auf die Gründung der Republik 1924, als Frauen das Wahlrecht erhielten. Berufstätige Frau Die jetzige Reform regelt fast alle Belange im Geschlechterverhältnis neu und passt das türkische Recht weitgehend westeuropäischen Vorbildern an. Die Abschaffung des Familienpatriarchen bedeutet, dass die Frau nun selbstständig entscheiden kann, ob sie berufstätig sein möchte und ob sie bereit ist, in das Haus, das heißt in die Familie des Mannes, zu ziehen, was vor allem auf dem Land gang und gäbe ist. Heiratsalter Ebenfalls für die Verhältnisse auf dem Land wichtig ist die Heraufsetzung des Heiratsalters. Sowohl Männer als auch Frauen müssen nun volljährig, also 18 sein, wenn sie heiraten. Bis jetzt durften Mädchen bereits mit 15, in Ausnahmefällen sogar mit 14 Jahren heiraten, was häufig dazu führte, dass sie von ihren Familien oft an wesentlich ältere Männer verheiratet wurden, ohne gefragt zu werden. Scheidungsrecht Für Frauen besonders wichtig ist das neue Scheidungsrecht. Während die Frau bisher nach einer Scheidung fast immer mittellos dastand und praktisch wieder auf ihre Eltern angewiesen war, gilt ab jetzt das Zugewinnprinzip. In der Regel wird der gesamte Besitz nach der Scheidung geteilt. Die Partner können aber auch einen Ehevertrag abschließen. Die größte Niederlage für die Frauenlobby, die deshalb auch noch einmal an Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer appelliert hat, dem Gesetz so nicht zuzustimmen, ist, dass diese Regelung nicht rückwirkend gilt. Auf Druck vor allem der mitregierenden ultrarechten MHP wurde für alle vor dem 1. Jänner 2002 geschlossenen Ehen der Status quo festgeschrieben. Für Scheidungen gilt nun in der Regel das Zerrüttungsprinzip. Schuldig geschieden werden Ehebrecher(innen) und Männer, die ihre Frauen schwer misshandelt haben. (DER STANDARD, Printausgabe 28.11.2001)