Wien - Die Figur der Kleinasiatin Medea, die Iason aus freien Stücken nach Griechenland folgt, um hintergangen und, von der Polis für rechtlos erklärt, zur Rache aufgestachelt zu werden, reizt empfängliche Geister zu voreiligem Verstehen. In der Gestalt der Medea findet das Thema der Migration zur edlen Einfalt der schlichtesten Gemütstiefe. Dea Lohers Manhattan Medea , vor Jahren vom steirischen herbst in Auftrag gegeben, setzt diese Aneignung besonders treuherzig in Szene. Medea strandet als Schwarzarbeiterin in den New Yorker Häuserschluchten, um von den herrschenden Marktgesetzen in die wahlweise bosnischen oder afghanischen Knie gezwungen zu werden. Loher peppt ihr stumpfes Ding mit "Americana" auf: Von Motel-Zimmern geht die Rede, von Chinatown-Königen, die zu "Sweatshop-Bossen" leuteschindend aufsteigen. Gescheiterte Kunstmaler (Christian Döring), die "Velazquez" heißen, weisen die Verelendete kauzig von der Schwelle, und die Manhattan-Medea- Aufführung des "Theaters Schauwerk" im dietheater Konzerthaus klumpt die Szenen auch noch zu Schmock-Schlaglichtern auf eine viel zu gute Seele. Elfriede Hauder setzt im roten Mullwickel-Kostüm ihr Rachewerk wie einen Mutter-Gottes-Beweis margarineweich in Szene. Die Augen glühen, das Herz krampft sich stumpf und finster. Trotzdem reizt Wolfgang Schusters zähe Regiearbeit zum Nachdenken. Wie kommt es eigentlich, dass die skandalöse Fremdheit eines Mythos, der obendrein das Experiment der interkulturellen Eheschließung als klägliches Desaster vermerkt, uns irgendwie heimelig anrührt? Schusters Arbeit verbucht rare Glücksmomente dann, wenn ein paar heißlaufende Schauspieler die Marotten von Method-Actors zitieren. Ein Ausweg aus dem Leerlauf theatralischer Betriebsamkeit? Keine Formanstrengung, wenig Kunstgewinn. Ein Nichts mit Herz. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29. 11. 2001)