Lifestyle
Alles nur geklaut
Das Berliner Museum Plagiarius stellt gefälschtes Design zur Schau
Jede Öffentlichkeit hat ihre Scham-Ecken, in die Schlechtigkeiten aller Art für jedermann sichtbar verbannt werden können. Ein altes, aber effizientes Prinzip, das im selben Maße auf Abschreckung setzt, wie es die Schadenfreude bedient, und somit wahrscheinlich auch ein Grund, warum Fernsehtalkshows so beliebt sind, die sich "Das schwarze Schaf" nennen. In Berlin gibt es jetzt auch für Fälschungen einen solchen Raum: ein ganzes Museum für gefälschte Designerware.
Hier finden sich Bügeleisen ebenso wie Murmelbahnen oder Walkmen, und zwar in zweifacher Ausführung: Links neben jedem Exponat wurde das Original platziert. Im Schatten des Falschen kommt der Glanz des Echten schließlich am besten zur Geltung. Und außerdem ist es ja auch der Zweck von Scham-Ecken, das Gute als einzig sinnvolles Gegenmodell erscheinen zu lassen.
Begonnen hat alles mit einer kleinen Plastikwaage, die der heute 67 Jahre alte deutsche Designer Rido Busse anlässlich der Frühjahrsmesse in Frankfurt 1977 am Stand eines Herstellers aus Hongkong entdeckte. Der Entwurf der Waage stammte von ihm selbst, die Firma Soehnlein hatte die "Brief- und Diätwaage Nr. 8600" Jahre zuvor auf den Markt gebracht. Sie kostete pro Stück umgerechnet 13 Euro, der chinesische Hersteller verkaufte das Plagiat um zwölf Euro das Dutzend. Die Herstellerfirma erwirkte eine einstweilige Verfügung, die nachgemachte Waage musste aus der Messehalle verschwinden. Allerdings waren bis dahin bereits 100.000 Stück verkauft worden, wenige Monate später bot ein anderer Hersteller das Plagiat an, es musste wieder eine Unterlassungserklärung eingeklagt werden und so weiter und so fort.
Um auf diese missliche Rechtslage aufmerksam zu machen, setzte Busse, der inzwischen seine eigene Designfirma hat und Professor an der Kunsthochschule Weißensee ist, ganz auf die Kraft des Bloßstellens. Jährlich zeichnet er einen Hersteller von Plagiaten aus, und zwar mit dem "Plagiarius", einem schwarz bemalten Gartenzwerg mit gold lackierter Nase. Der erste Preisträger war besagte Firma Lee aus Hongkong, inzwischen werden die Schmähpreise jährlich auf der Frankfurter "Ambiente" verliehen. 1980 übernahm der Verband Deutscher Industrie-Designer die Schirmherrschaft für die Aktion "Plagiarius", im November eröffnete nun das Plagiarius-Museum, in dem die ausgezeichneten Stücke zu bewundern sind. Inzwischen kann Busse, der sein Museum aus Spenden finanzierte, bei der Erweiterung seiner Bestände auf die Wirtschaft zählen. Zahlreiche Firmen melden ihm jedes Jahr, dass Produkte kopiert wurden.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: 10,23 Milliarden Euro gehen allein der deutschen Wirtschaft im Jahr durch Produktpiraterie verloren, der weltweite Schaden belaufe sich nach EU-Schätzungen auf 200 bis 300 Milliarden Euro, wird Busse nicht müde vorzurechnen. Dazu kommt, dass viele Designer Patentanmeldungen scheuen, weil sie teuer und kompliziert sind. Dass Plagiate hauptsächlich aus Asien kommen, stimmt allerdings nicht ganz. Busse meint, dass lediglich 17 Prozent der ihm bekannten Plagiatoren den Firmensitz in Fernost haben.
Inzwischen ist es sogar so, dass sich asiatische Originalhersteller
an ihn wenden, weil ihre Waren in Europa oder Amerika kopiert werden. Selbst die Idee, den "Plagiarius" im Rahmen eines Franchise-Unternehmens auch in Asien zu verleihen, gibt es inzwischen. Anders als bei ähnlichen Projekten wie der Ausstellung "Echt Falsch", die vor einigen Jahren gefälschte Kunst präsentierte, oder Kunstaktionen wie von Cartier, bei denen falsche Uhren von einer Straßenwalze zermalmt werden, bekommt man im Plagiats-Museum keine Welt der Luxusgüter präsentiert. Was sich im Falschen abbildet, ist der normale Alltag. Und der besteht aus Wasserkochern, Telefonen, Lampen, Bauklötzchen, Rucksäcken, Scheren, Socken, Saftpressen, Thermoskannen, Türgriffen und Korkenziehern. Auf einem Foto ist eine chinesische Straßenbahn zu sehen, die von einem Modell aus Düsseldorf abgekupfert wurde. Im Archiv, in dem man die Geschichte jedes ausgestellten Stücks nachlesen kann, erfährt man, dass auch schon ganze Einbauküchen kopiert worden sein sollen. Eine originelle Form, mit der öffentlichen Zurschaustellung umzugehen, hat übrigens eine taiwanesische Firma gefunden: Die Plagiarius-Urkunde, die es erhalten hatte, wurde in der Empfangshalle aufgehängt.
derStandard/rondo/30/11/01