Mike Patton, einst als Sänger mit Faith No More einer der letzten der
Platzhirschen, über seine neuen Projekte
Mit seiner Band Faith No More erfand er Ende der 80er-Jahre die heute mit Limp Bizkit
auf die Spitze getriebene Heimsuchung des Crossover und verdiente Millionen. Heute
verschleudert der 33-jährige US-Sänger Mike Patton sein Vermögen mit der
Veröffentlichung heiligen musikalischen Lärms auf seinem Label Ipecac Records.
Wir schreiben das Jahr 1988. Es war schnell gegangen, als das kleine kalifornische
Studentenbürschchen Faith No More ein Demotape in die Hand drückte.
Die in San Francisco beheimateten Pioniere des Metal-Rap kickten gerade mit
frischem Warner-Vertrag in der Tasche Stammgröler Chuck Mosley aus dem
Spiel. Courtney Love wollte nicht wieder einsteigen. Und Chris Cornell von
Soundgarden war verhindert. Da war also dieser Selfmade-Tenor mit Hang zu LSD,
Cartoons und Zappas hypernervösem Soundverständnis gerade ein
griffiges Angebot. Das kleine Rockermärchen schnappte zu: "Almost
Famous", indeed.
Über ein Jahrzehnt später ist Mike Patton gerade noch, oder gerade nicht
mehr, der letzte Platzhirsch des Modells Superstar, den der Mythos Rock noch bieten
kann. Das Faith-No-More-Album The Real Thing
aus 1989 hatte die 90er im
Voraus montiert, lange bevor Nirvana oder Helmet einen ähnlich
prägenden Stellenwert einnahmen: Breitwandriffs, fetter und funkiger als die Red
Hot Chili Peppers je zuvor schwarz-weiße Groove History verschüttelt
hatten. Verschwitzte Macho-Traumata, frisch aus der vom HipHop geerdeten Puberty
Row. Hinreißend mit Pathos aufgeladener Synthesizerschwulst, der die
Sensibilisierung zwischen den Parallelwelten Rock und Elektronik im Geiste komplett
vorwegnahm. Und über allem thronte König Patton mit seinem Charisma
und Glamour spuckenden Glanzorgan der kurzen Aufmerksamkeitsspanne: Nahtlos
wie kein anderer switchte er in Sekundenschnelle zwischen psychotischem
Scat-Gesang, rappendem Worttumult und wuchtigem Crooning. Das hinterfotzig sanfte
Lionel-Richie-Cover Easy
knackte schließlich 1993 die Hitparade. Der
heilige Gral MTV war auf ewig erobert.
Mike Patton: "Mein Leben ist dadurch sicher nicht spannender geworden. Ich
habe nie meine Zeit, mein Geld und meine Energie darin investiert, dümmliche
Rock'n'Roll-Klischees auszuleben. Der
Job bleibt Tommy Lee
überlassen." Rock war ja mit und nach Kurt Cobain gestorben. Nicht als
sich nach wie vor ständig neu erfindendes, fruchtbares Genre, sondern als
ideelles Vehikel des harten kämpferischen Individual-Mannes, der mit sechs
Saiten Revolution in der Hand die Welt und die Frauen in die Knie zwang. Diese Idee
liegt nach wie vor am Boden, auch wenn sie heute noch viel Geld einbringt. Die
Symptome: Schlechte Imitation durch eine ganze Generation alternativer Boygroups
und kleiner Pickel-Pattons, die als Limp Bizkit oder Bloodhound Gang die Charts
beherrschen. Dazu kommen kommerzielle Ausdünnungen der
Hollywood-Maschine, wie das der von den britischen Metal-Opas Judas Priest
inspirierte und inzwischen mit Klagedrohung abgelehnte Spielfilm Rock Star
und eben auch Almost Famous
belegen sollen.
"Keine Ahnung, was die Filme sollen. Die haben mich jedenfalls damals
für die Rolle des Sängers angerufen. Leute außerhalb der
Musikindustrie mögen das so sehen - vielleicht auch im Vergleich zur
gewöhnlichen Neun-bis-fünf-Tretmühle. Aber nichts, gar nichts kann
manchmal dermaßen hässlich sein." Anders als das Lifestyle-Bild
von Patton als rotzigem Edelmann in Combat-Trousers, obenhin noch mit Schnauzbart
und Bandanna verziert, es andeuten mag: Er schnupft heute nicht Koks und knuddelt
Silikon in menschenfernen Villen, sondern geht den eckig kreativen Weg zurück
in den Untergrund. 1998 löst er Faith No More "aus Langeweile" auf,
während er sich weiter für den unverkäuflich chaotischen Jazz-Core
seiner Highschool-Band Mr. Bungle engagiert.
Schon seit 1991 arbeitet er mit John Zorn, dem Giganten des Avantgarde-Jazz und
gastiert in gehobensten Kulturzirkeln mit Ikue Mori, Mark Ribot oder Jerry Hunt. Seine
zwei Experimental-Alben, darunter eine Vertonung von Marinetti's futuristischem
Kochbuch für Stimme, Fuzzbox und Verstärker, gehören zum
sperrigsten Stoff der ganzen Liga. 1999 gründet er Ipecac Records, ein
Independent-Label für querschlägerndes Musikgut. Die Umkehrstrategie
eines reuigen Rockisten?
"Ob ich ein etablierter Herr Künstler werden will? Gott, nein!!! Ich verfolge
keine Marketingpläne oder persönliche Strategien. Das kommt alles aus
dem Bauch. Ich will mich ständig an neuen künstlerischen Environments
erproben. Schachteln wie Mainstream, Untergrund, Experiment verstehe ich prinzipiell
nicht. I just do what I do and have never been happier." Dass es sicher nicht das
Vernünftigste ist, sein Starvermögen nicht in Aktien, sondern in den
Vertrieb eigener und befreundeter Projekte zu stecken, gibt er zu. Auch ist der
Zusammenhalt des in den 80er-Jahren noch beschworenen Netzwerks der
Independentkultur zerbrochen. Labels wie Man's Ruin oder Grand Royal haben gerade
frisch ins Konkursgras gebissen. Vorzeigeprojekte wie Touch & Go und
Alternative Tentacles müssen schwerwiegende Gerichtskämpfe mit
ehemaligen Kumpelbands durchstehen. Für Patton nur ein weiterer Grund,
wieder etwas aufzubauen, das seine bockige Integrität gegenüber dem
übermächtigen Kommerz positioniert.
Pattons Auswahlkriterien jedenfalls dürften sich nach Glaubwürdigkeit
und Outsidertum richten: Da reiben sich Anarcho-Elektroniker (Kid 606), singende
Sonderschulen (Kids of Widney High) und Cowboy-Rocker (Lucky Stars) mit
Telefonterror-Kabarett oder dem nun langsam wieder neu aufgelegten Gesamtkatalog
der Noiserock-Legende Melvins. Ähnlich bunt und feuchtfröhlich unstimmig
gestalten sich Pattons eigene Projekte, deren Line-ups sich wie Einkaufslisten
gängiger Subkulturtalente lesen. Der knallhart überdrehte Cartoon-Metal
von Pattons Formation Fantomas (mit Musikern von den Melvins und den
Todesmetallern Slayer) hat sich bereits einen epochalen Ruf erworben - nicht zuletzt
durch das aktuelle Album The Director's Cut
, das 15 Soundtrack-Klassiker von
John Barry oder Ennio Morricone bis Bernhard Herrmann dem Geschwindigkeitswahn
des Metal überantwortet.
Große Live-Lorbeeren bekommt auch ein weiteres neues Projekt von Patton,
Tomahawk. Hier hört man blutenden Krachrock aus Blues- und
Gitarrenrock-Scherben, der auf Tonträger den übermächtigen
Schatten der Mutterband The Jesus Lizard (Gitarrist Duane Denison spielt bei beiden)
nicht vertreiben kann. "Very charming" nennt Mike Patton auch Peeping
Tom, seine Zusammenarbeit mit dem Breakbeat-Genie DJ Dan the Automator
(Gorillaz, Dr. Octagon). In Zukunft könnte hier auch wieder der Mainstream-Markt
abgedeckt werden können. Die Kontroversen, die Patton mit seinem
ungeheuren künstlerischen Output auslöst, sind ihm da der eigentlich
bestätigende Genuss. Denn das Entsetzen des Publikums blieb bei seinen
letzten Auftritten immer gleich: sei es der plötzlich aufstehende Chor weißer
Bärte, als er nach einem Stück von Ligeti die Bühne des Wiener
Konzerthauses zuplärrte, seien es die entsetzten Kopf-Hörer, die
entdecken mussten, dass sich Fantomas trotz hohen Kunstgehalts live doch
überdeutlich zum Schweinerock-Riff bekennen. Ganz abgesehen von der trunken
"Kumm aussa, du Oasch!" skandierenden Menge beim heurigen
Sommerfestival in Wiesen, die bei Fantomas das bei Faith No More geschätzte
Karaoke-Potenzial vermisste.
"Different strokes for different folks", meint Patton lapidar. Und: "I
definitely didn't notice their tears." Da hat er als Tänzer zwischen den
Kulturfronten, als Avantgardist mit heraushängenden Geschlechtsteilen doch ein
Ideal des Rock bewahrt, ohne dessen Regelwerk notwendigerweise einzuhalten:
Individualismus für immer. Dass das nach Artenschutz schreit, liegt an vielen
Dingen. Aber sicher nicht an der Musik.
Alle genannten Veröffentlichungen des Ipecac-Labels sind
im Vertrieb von Substance erhältlich: Tel. 01 / 523 67 57
Paul Poet ist Regisseur, Journalist und konzipiert Onlineprojekte.
Sein Dokumentarspielfilm "Schlingensiefs Container" läuft 2002
an.
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