Wien - Nach den Terroranschlägen vom 11. September sei die Chance gestiegen, ernsthaft über das Austrocknen von Steueroasen, fairere Handelspraktiken oder die Besteuerung von Devisenspekulationen zu diskutieren. Vor dem 11. September hätten die Mächtigen in Washington, London oder Rom massiv geblockt, solch neue Spielregeln auch nur anzudenken. "Der Staat und die Politik muss dem Egotrip der globalen Eliten Einhalt gebieten", sagte der frühere SPD-Chef und prononcierte Globalisierungs- kritiker Oskar Lafontaine Mittwochabend in Wien.

Die Regierung von George W. Bush sei "nicht gerade eine Versammlung der Ärmsten der Welt". Es verwundere also nicht, wenn 40 Prozent der geplanten Steuersenkungen dem reichsten Prozent der US-Bevölkerung zugute kommen würden. Auch die neue Erbschaftssteuergesetzgebung in Italien sei auf Premier Silvio Berlusconi maßgeschneidert, sagte Lafontaine.

Auch sein Diskussionspartner, der frühere Minolta-Europa-Präsident und heutige Minolta-Sonderberater Akio Miyabayashi, vertrat im "max.talkroom" in der Hofburg die Ansicht, dass die wirtschaftliche Globalisierung ein starkes ordnungspolitisches Gegengewicht brauche. Die supranationalen Institutionen, Weltbank, Währungsfonds, UNO und WTO gehörten gestärkt.

"Die Lösung" im Kampf gegen den Terror sei das "Schließen der Kluft zwischen Arm und Reich", so Miyabayashi. Denn die "Globalisierung ist wie ein Feuer. Richtig angewandt, kann sie wärmen. Falsch angewandt, kann sie alles niederbrennen." Moderiert wurde die Diskussion, die auf reges Publikumsinteresse stieß, von STANDARD-Chefredakteur Gerfried Sperl.

Gekochte Frösche

Auch die Globalisierungsverlierer in den Industrienationen, etwa in den Niedriglohnbereichen, dürften nicht vergessen werden, sagte Lafontaine. Gewaltigen Lohnsteigerungen bei den Spitzenmanagern der größten deutschen Konzerne stünden schnöde Lohnerhöhungen für die normale Erwerbsbevölkerung gegenüber. Andererseits, hielt Miyabayashi entgegen, hätten die Wohlstandsbürger in den Industriestaaten zu lange gelebt wie gekochte Frösche. In Japan würden Frösche zum Garen in kaltes Wasser gelegt, das nach und nach erhitzt werde. Der Frosch merke nicht, wie er langsam gekocht und danach verspeist wird.

Der japanische Autobauer Nissan hätte letztlich nur durch einen französischen Spitzenmanager saniert werden können. Vielleicht müsse auch ein "ausländischer Premier" geholt werden, um Japan insgesamt aus der Krise zu führen, sagte Miyabayashi.

Kurzfristig müsse zur Überwindung der Rezession in Europa die Kaufkraft gestärkt und eine flexible Geld-und Finanzpolitik nach US-Vorbild gemacht werden, kritisierte Lafontaine einmal mehr die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer Inflationsfixiertheit. Langfristig sei das einzige Programm zur "gerechten" Wohlstandsvermehrung in der Welt die Bildung. Miyabayashi verwies in diesem Zusammenhang auf die Straßenkinder von Rio, den Analphabetismus in Afghanistan und die Informationsflut von CNN und CNBC in den westlichen Haushalten.

Beim Stichwort Afghanistan geißelte Lafontaine erneut die US-amerikanisch geprägte Freihandelsphilosophie, die der Paradelinke mit "Neokolonialismus" gleichsetzt. Es könne kein Zufall sein, dass Afghanistan im "Zentrum des Ölspiels der kaspischen Region" liege. Die USA kämen mit einem Anteil von 4,5 Prozent der Weltbevölkerung auf 25 Prozent des jährlichen Weltölverbrauchs. (miba, Der Standard, Printausgabe, 30.11.01)