"Ich weiß nicht": Souveräne Arbeiten von Birgit Jürgenssen in der
Galerie Winter
Eine Ausstellung mit dem Titel "Ich weiß nicht": Birgit Jürgenssen bekennt sich in der
Galerie Winter mit souveränen Arbeiten - Foto, Video, C-Prints - zu Zweifel und
Zwischenreichen: eine angenehme Erscheinung inmitten der immer "heroischer"
werdenden (Kunst-) Welt.
Wien - "Dem Künstler ist der überraschende Blick auf die Welt nur
einmal möglich - in seiner Jugend", schrieb heuer der Kunsthistoriker Beat
Wyss in der NZZ bezüglich Gegenwartskunst. Danach bliebe nur die "kluge
Strategie, mit dem erworbenen Blickpatent zu altern". Große Namen
kommen da sofort ins Gedächtnis. Die Künstlerin Birgit Jürgenssen
besitzt mehrere Blickpatente, das macht sie unberechenbarer, spannender - und
deshalb auch weniger berühmt.
Den Hintergrund der 1947 geborenen Wienerin, derzeit mit einer Personale in der
Galerie Hubert Winter vertreten, bildet vor allem die Body-Art der
gesellschaftskritischen 60er-Jahre, mit feministischen Ansätzen, die sie in die
Nähe von Künstlerinnen wie Valie Export (in ihren Fotoarbeiten) oder Maria
Lassnigs Körpergefühlsbildern rücken.
Identitätsverschiebungen, -konstrukionen und Masken des Selbst - sei es auch
eine Schuh-Maske - ergeben sich geradezu als Konsequenz.
Wie auch eine Personale im Oberösterreichischen Landesmuseum 1998
demonstrierte, kreisen Jürgenssens Objekte, Zeichnungen, Fotos, C-Prints,
Projektionen oder Videos sehr oft um den (eigenen) Körper, dem Blicke
eingeschrieben werden. Die Grenzen von Innen- und Außenwelt sind bei der
Künstlerin oft aufgehoben, die Grenzen von Subjekt und Objekt, Tier und Mensch.
Bei ihr können sogar transparente, gegeneinander gerichtete bunte
Plastikpistolen zu absurden, Love & Peace
genannten Organismen
zusammenwachsen. Täuschungsmanöver
Birgit Jürgenssen, mit hyperpräziser Beobachtungsgabe ausgestattet,
stellt dem Blick, und weiter natürlich der Wahrnehmung, gerne Fallen. Zwei
Fluchtpunkte zweier knapp nebeneinander gehängter Waldfotos lassen den
Blick kippen, eine scheinbar computergemorphte oder wenigstens gemalte
Architekturansicht von Venedig stellt sich als auf Fotoleinen vergrößerte
Fotografie heraus, die, umgedreht, von einer spiegelnden Wasseroberfläche
gemacht wurde. Andererseits wähnt man wieder auf den Computerprints
abstrahierte Holzschnitte.
Allesamt Zwischenreiche, die lieber nicht ganz erklärt werden müssen,
trotz ihrer Konkretheit bewusst offen lassen. Auch bei dem Video
Schneegewitter
, das Jürgenssens Blick aus dem Atelier bei Schneesturm
zeigt, mit nahezu unerträglichen Umweltgeräuschen und einer Pause, in
der ein Mann englischer Muttersprache Hölderlin zitiert. Aus den Wortfetzen, die
man mühevoll versteht, konstituiert sich, falls erwünscht, der neue Sinn.
Der transparente (Fenster-)Vorhang vor der Projektionsfläche irritiert
zusätzlich. Hier wieder zeigt sich Jürgenssens Gabe, scheinbar Lapidares
und Naheliegendes so herauszufiltern und zu präsentieren, dass der Blick
immer wieder ein überraschender ist.
"Ich weiß nicht" nennt die in ihren Arbeiten so souveräne Birgit
Jürgenssen diese Ausstellung: Ein Nicht-Durchblicken-Können, ein
Nicht-Festlegen-Wollen als wohltuende und notwendige Erscheinung in einer (Kunst-)
Welt, die wieder mehr die (männlichen) Heroen feiert.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 11. 2001)
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