Schnelligkeit ist nicht gerade einer der Grundzüge orientalischer Meinungsfindungsprozesse. Dass die Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg dieses Klischee soeben Lügen zu strafen scheint, zeigt, dass eingetroffen ist, was man vorher fast nicht zu hoffen wagte: Die Teilnehmer, welcher politischer Couleur und welchen ethnischen Hintergrunds auch immer, haben allesamt begriffen, dass sie - und mit ihnen die "afghanische Nation" - so etwas wie eine letzte Chance haben. Wann sonst, wenn nicht unter dem Druck der jetzigen Ereignisse, könnte es gelingen, die Gegensätze zu überwinden und die ersten Schritte zur Gründung eines modernen afghanischen Staates zu setzen?

Die Fortschritte, auch wenn sie noch nicht abgesichert sind, können sich in der Tat sehen lassen. Die Einigung zwischen den beiden stärksten Gruppen, der Nordallianz und der Rom-Gruppe um Exkönig Zahir Shah, auf eine Übergangsverwaltung kommt für diejenigen Afghanen, die sich auf der Konferenz nur unzureichend vertreten sehen, fast verdächtig schnell. Da die Peschawar-Gruppe im Prinzip den König unterstützt und die Zypern-Gruppe durch den gemeinsamen Freund Iran der Nordallianz verbunden ist, müsste die am Donnerstag im Raum stehende Lösung eigentlich durchgehen.

Überraschend kommt auch die Flexibilität, die die Nordallianz nun in Bezug auf die mögliche Präsenz einer internationalen Friedenstruppe zeigt. Bis Donnerstag bestritten die Nordallianz-Vertreter deren Notwendigkeit - eine Umschreibung dafür, dass man sich nur ungern an den Gedanken gewöhnt, die militärische Kontrolle über eroberte Gebiete wieder aufgeben zu müssen. Ebenso durchsichtig ist die wiederholte Forderung, die Konferenz müsse in Kabul fortgesetzt werden: Wenn alle Gruppen mit UNO-Geleit im von Präsident Rabbani kontrollierten Kabul einziehen, kommt das praktisch einer Anerkennung seiner Verwaltung der Hauptstadt gleich.

Rabbani ist überhaupt der große Abwesende auf dem Petersberg, seine notorische Ambivalenz - etwa was die Unterstützung der Nordallianz für eine Rolle des Königs anbelangt - inkludiert die Möglichkeit, dass er später die Ergebnisse der Konferenz zu unterlaufen versucht.

Denn natürlich sind die Gegensätze nicht einfach durch Emotion und Bemühen ausgeräumt - auch nicht innerhalb der Gruppen. Die Nordallianz-Vertreter in Bonn mussten den abwesenden General Dostum, der seine Usbeken unterrepräsentiert sieht, besänftigen, offensichtlich ist das erst einmal gelungen. Ein echtes Problem, das auch Pakistan Sorgen macht, ist jedoch die mangelnde Vertretung der afghanischen - im Gegensatz zu den exilierten - Paschtunen. Wie schon die Namen der Gruppen sagen, kommen die auf dem Petersberg vertretenen Paschtunen aus Rom, Peschawar und Zypern.

Laut Ahmed Rashid, der journalistischen Instanz zum Thema Afghanistan, behauptet die Nordallianz, dass Iran und Russland Rabbani versprochen haben, sie würden ihn als Staatsoberhaupt anerkennen, falls bei den Petersberg-Gesprächen nichts herauskäme: Da ist sie wieder, die unselige Einmischung von außen, die von den Vermittlern der UNO zurückgedrängt, aber auch nicht völlig abgestellt werden muss - denn ohne Zustimmung der Nachbarstaaten zu einer Afghanistan-Lösung wird es eben auch nicht gehen.

Der große Verlierer scheint im Moment Pakistan zu sein, für Islamabads Geschmack setzt Washington der Eigenmächtigkeit der Nordallianz, die bisher etwa die Stationierung von britischen Truppen bei Kabul erfolgreich verhindert hat, viel zu wenig entgegen. Eine Verbeugung in dieselbe Richtung, nämlich Moskau, ist auch die Ansage der USA, sich keinesfalls an einer Friedenstruppe beteiligen zu wollen: Damit wären alle Spekulationen darüber abgestellt, dass die USA militärisch in der energiereservenreichen Region präsent bleiben könnten, so wie sie es nach dem Golfkrieg 1991 in Saudi-Arabien getan haben.

(DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2001)