Die Reaktionen auf Jörg Haiders autoerotisches Fernsehinterview und dessen Ausstrahlung durch das Landesstudio Kärnten des ORF schwankten zwischen Empörung und Erheiterung. Aber der wahre Schuldige an diesem Medienputsch, der, der Haider diese Notwehr rechtens erscheinen ließ, wurde bisher nicht genannt. Hiermit ist es so weit: Es ist niemand anderer als der Chefredakteur der "Presse", und es war der Kärntner Landeshauptmann persönlich, der ihm in seinem letzten Kommentar von außen in ebendiesem Blatt die Maske vom Gesicht riss.

Eigentlich war alles nur die Notwehr eines Politikers, der in den Klauen einer enthemmten Gutmenschen-Journaille zappelt. Denn es gibt sie doch noch. Zumindest einzelne Exemplare einer längst ausgestorben geglaubten Spezies . . . Sie handeln im Gegensatz zu den meisten Menschen nur aus hehren Motiven und sind unerschütterlich objektiv sogar dann, wenn sie nur ihre eigene Meinung vertreten.

Jetzt müsste bald einmal die Redaktionsstube kommen. Und richtig: Denn so manche Redaktionsstube erweist sich Dank einzelner ihrer Redakteure als Zufluchtsort und letzter Hort dessen, was einmal unter dem Namen Seriosität und Menschlichkeit Verbreitung in weiteren Kreisen gehabt haben soll. Das sitzt, ebenso wie die Feststellung, der dem Ansehen der Politiker nahe kommende Ruf der Journalisten in der Bevölkerung sei alles andere als ein Ernennungsdekret zum unfehlbaren Gralshüter der politischen Kultur für die journalistische Zunft. Das ginge ja schon deshalb nicht, weil der Gral der politischen Kultur seinen unfehlbaren Hüter bekanntlich im Klagenfurter Landhaus gefunden hat. Und dennoch sind es ausgerechnet einige ihrer Vertreter, die in Kommentaren so gern in genau diese Rolle der Schutzheiligen der Demokratie und ihrer Werte schlüpfen, was schon per se eine Zumutung ist.

Da läßt sich 's trefflich richten. Da läßt sich einzelnen Politikern die Exklusivverantwortung für eine Herabsetzung der Politik insgesamt auf "Praterniveau" anhängen. Da läßt sich 's gut machen – Obacht, Klimax! -, jemanden taxfrei als "Wurstel vom Wörthersee" zu bezeichnen, wie es unlängst der Chefredakteur dieser Zeitung auf der Titelseite unternommen hat. Da wird 's aber Zeit, dass in den Redaktionsstuben nicht mehr so viel die Wahrheit gesagt wird. Und überhaupt fragt man sich, was da in Herrn Unterberger gefahren ist. Denn all das geschieht nur aus den edelsten Motiven heraus, versteht sich. Und wehe dem, der anderes denkt! Denn der macht sich des schweren Vergehens schuldig, mit der Errungenschaft der Pressefreiheit die Demokratie insgesamt in Frage zu stellen.

Ob der Chefredakteur der "Presse" Jörg Haider nur aus den edelsten Motiven heraus als "Wurstel vom Wörthersee" angesprochen hat oder ob er dafür ein sachliches Motiv hatte, wurde vom Betroffenen nicht hinterfragt. Möglicherweise hat er die Ortsangabe nur hinzugefügt, um den einen Wurstel von einem anderen Gastkolumnisten seines Blattes zu unterscheiden, der dieser Bezeichnung seit Jahrzehnten gerecht wird. Ein Chefredakteur will Ordnung in seiner Zeitung, auch wenn er damit unter Anwärtern auf gewisse Titel Verstimmung erzeugt.

Das legt sich wieder, dauert aber einige Zeit. Noch ist es peinlich, wenn jemand, der auszieht, um Niveau und Ernsthaftigkeit zu retten, just in diesem Unterfangen selbst ins Untergriffige abgleitet und sich in die von ihm kritisierten Niederungen versteigt. Um so peinlicher, wenn dies der Chefredakteur der Tageszeitung tut, die von sich behauptet, sich von den anderen durch ihren "großen Horizont" zu unterscheiden.

Peinlich aber auch, wenn jemand, der häufig selbst ins Untergriffige abgleitet, ohne je ausgezogen zu sein, Niveau und Ernsthaftigkeit zu retten, seinem Publikum Untergriffe wie "Dreck am Stecken" oder "bezahlte Ganoven" als Beweise seines großen Horizonts andrehen will.

Völlig klar, dass dem von Unterberger zum "Wurstel vom Wörthersee" Degradierten gar keine andere Wahl blieb, als mithilfe des ORF nachzuweisen, er könne den Wurstel auch in New York spielen. Nur seinen Ghostwriter, den sollte er zu einem Schreibkurs nach Harvard schicken. Diese Tirade war unter dem Niveau der "Presse", erst recht unter dem eines Blattes mit großem Horizont.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. November 2001