In der Secession versucht man dem Wehklagen, dass alles öd und leer geworden ist, ein Ende zu setzen.

Markus Mittringer

Wien - Die Illusionen: fort. Die Motivation: dahin. Die Stimmung: schlecht. Die Wirklichkeit: unwirtlich. Das Kapital: haben immer die anderen. Die Medien: lügen. Wo man auch hinschaut: alles obszön. Ausgeträumt. Keine Mauer mehr, kein Heilsversprechen vom jeweiligen Diesseits an das jeweilige Jenseits.

Muskelkater vom Widerstand. Der Wald, die Wale, die hungrigen Kinder, alle sterben unbeeindruckt weiter. Wie eh und je zeigt sich die Macht jeder Teilhabe gegenüber resistent. Maturiert, demonstriert, agitiert, schwarzgefahren. Ergebnis: null! Ach, Soziologie, Psychologie und Ethnologie studiert. Ergebnis: null! Grün gewählt, Ernährung umgestellt, an einen Schlot gekettet. Ergebnis: Joschka Fischer!

Wiederaufgearbeitet, Zivildienst geleistet, Brot selbst gebacken. Ergebnis: Wen die Bomben nicht atomisieren, erschlagen die Care-Pakete! Freie Liebe praktiziert, sich ans Kondom gewöhnt, stundenlang vor- wie nachgespielt. Ergebnis: Lust verloren! Dann Künstler geworden. Sogleich die wichtigste Lektion gelernt: Alles schon mal da gewesen! Die Scheiße hoffnungslos am dampfen, und immer noch kein Ersatz für die Demokratie in Sicht.

Auf diesem Fundament baut Kathrin Rhomberg in der Secession Ausgeträumt . . ., eine Ausstellung zur Gegenwart. Eine Neugründung samt zugehöriger Vision ist das natürlich nicht. Kann und will es auch nicht sein.

Ausgeträumt . . . "wird der Kunst zwar nicht ihre Freiheit geben können, auch nicht Wege aus der derzeitigen politischen und kulturellen Situation ebnen", schickt die Kuratorin voraus, "sie versammelt vielmehr internationale Positionen, die angesichts der Dilemmata Skepsis bewahren, ideologische und ökonomische Mechanismen infrage stellen, Utopie als integralen Bestandteil der Kunst diskutieren und die Entwicklung von anderen Kategorien des Vorstellens zum Thema machen."

Wahrheitsverschub

Das sieht dann beispielsweise so aus: 1) Roman Ondak hat mehrere slowakische Autos auf dem Parkplatz hinter der Secession abgestellt. Und dort bleiben die auch bis Februar, wenn die Ausstellung wieder schließt. Roman Ondak sieht das als Affront, der zum Nachdenken anregen soll: über Parkplatznot und Armut, über Symbolik und Repräsentation, über alles andere oben angeführte, weil das mittelbar ja auch damit zusammenhängt - irgendwie.

Er meint auch, mit der Okkupation des exklusiven Parkraumes durch die anderen, die Fremden, xenophobische Potenziale im rechtmäßigen Nutzer, im Einheimischen, aufspüren zu können. Auf gut Kunstdeutsch: "Eine Bedeutungsverschiebung in der Wahrnehmung von Wirklichkeit und ihrer (Nicht-)Repräsentation, in der sich das Außergewöhnliche in dem zeigt, was wir das Gewöhnliche, und das Gewöhnliche in dem, was wir das Außergewöhnliche nennen." - Ein Bild, das auch schon oft gemalt wurde. Und es ist anzunehmen, dass zwecks Verhütung abschleppender Maßnahmen alle Behörden informiert und im Falle eventueller rabiater Sachbeschädigung ein (kapitalistischer) Versicherer die Kosten deckt.

2) Pawel Althamer hat eine Gruppe von Obdachlosen in die Secession "transferiert", damit man sie, wie im Alltag üblich, nicht so gemein missachten tut. Jetzt kommen sie endlich in den Genuss, blöd angestarrt zu werden.

3) Werner Würtinger hat eines der Seitenschiffe des verhinderten Sakralraumes vermittels einer Wand etwas verkleinert, derart dessen Symmetrie brechend. Verstärktes Oberlicht kompensiert den Verlust an Volumen. Die Kulisse gilt vonseiten des Denkmalschutzes als unbedenklich.

4) Es gibt unzählige Monitore und Projektionen, die verrückt oder unverrückt, rasant montiert oder streng dokumentarisch, inszeniert oder ungeschminkt individuelle Wahrheiten und Weltsichten wiedergeben. Das entschleunigt den Ausstellungsbesuch ungemein. Man vereinzelt aber auch recht rasch unter diesen Kopfhörern, und das ist dann wiederum dem Diskurs abkömmlich. Alles ist kompliziert geworden. Immerhin: Ausgeträumt . . . ist ein tadellos aufgeräumter Zustand.

(DER STANDARD, Print, Sa./So., 1./2.12.2001)