Inland
Quo vadis, Lateinunterricht?
Der pädagogische Dauerbrenner in der STANDARD-Schuldiskussion
Wien - Medienkunde statt Lateinunterricht - das wünscht
sich EU-Abgeordneter und
Bestsellerautor Hans-Peter
Martin. "Es geht darum, am
Ende der Schulzeit einen lebenstauglichen, wertgefestigten Menschen zu haben", sagte er Donnerstagabend bei der
STANDARD
-Diskussion "Macht
Latein noch Sinn?"
Auch Roswitha Fitzka-
Puchberger, Initiatorin der Elterninitiative "Fremdsprachenoffensive", findet, dass in
der Schule neue Schwerpunkte gesetzt werden sollten: Es
könnte ein Fach "Europäische
Kulturgeschichte" entwickelt
werden.
Für sie hat der Lateinunterricht nämlich ein "grundsätzliches, strukturelles Problem".
Fitzka-Puchberger: Meistens
würden lediglich Grammatikregeln gepaukt, anstatt auch
auf die Inhalte einzugehen.
Die von Schülern und Lehrern
übersetzten Texte seien dann
schlussendlich "nur mehr ein
Gestammel".
"Aha, ein interessanter
Text!" Das habe sie sich gedacht, als sie selbst das erste
Mal nach ihrer eigenen Schulzeit die alten Philosophen in
guter Übersetzung gelesen habe. "Lassen Sie sich etwas einfallen", appellierte die Elternvertreterin an die anwesenden
Fachlehrer. Eine Anregung,
die AHS-Direktorin und Lateinlehrerin Eva Reichel aufzunehmen versprach.
Gleichzeitig verteidigte sie
allerdings die klassischen Fächer. Dass Latein seit geraumer Zeit angegriffen werde,
habe dem Fach gut getan. Dadurch habe es einen gewissen
Zwang zur Modernisierung
gegeben.
Latein sei das einzige Fach
in der Schule, in dem Sprachbetrachtung und -struktur sowie Reflexion über Sprache
gepflegt werde. Im Lateinunterricht werde den Schülern
Geschichte "durch Geschichte
erzählt". Reichel: "Es genügt
schon, wenn die Kinder ein
bisschen davon mitnehmen.
Rückendeckung bekam sie
von ihrem Lehrerkollegen und
Lateinbuchautor ("Ludus")
Helfried Gschwandtner. Bei
anderen Sprachen stehe das
Kommunizieren im Vordergrund, hier müsse genau übersetzt und dann nachgedacht
werden: "Latein ist ein Bildungsfach. Da kann man nicht
einfach fragen: Was bringt's?"
Ein Unternehmer im Publikum wusste darauf dennoch
eine Antwort: International
sei eine klassische, humanistische Ausbildung immer
mehr gefragt. "In Latein und
Griechisch lernt man am besten denken und entscheiden."
Das erzeugte Widerspruch
beim EU-Abgeordneten, der
sich von "Latein-Junkies" umgeben sah: "Wenn es um erfolgreiches Wirtschaften geht,
spielt Latein keine Rolle."
Aus der Zuhörerschaft gab
es allerdings auch prinzipielle
Kritik am Schulwesen: "Ich
stelle mit Entsetzen fest, dass
nur mehr Fastfood-Wissen
vermittelt wird", sagte ein
frustrierter Vater. "Wissen auf
einem oberflächlichen Niveau, das nur dazu da ist, um
es schnell zu reproduzieren.
Da geht es zuerst ums Atommodell, dann kommt der Regenwurm, und nichts hängt
zusammen."
Der Tenor der anwesenden
Lehrer wiederum war: "Die
Kinder können nicht mehr
zuhören." Es mangle an strukturellem Denken.
Für Lateinbuchautor
Gschwandtner liegt genau
hier die größte Chance für Latein. International sei das
Fach wieder im Vormarsch,
um die Sprachkompetenz von
Jugendlichen zu heben. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 1.12.2001)