Neues aus David Lodges leichter feiner Akademikerwelt
,
Hegel, der frühe Verkünder des Endes der Geschichte, hat die Kunst zwiefach enden
lassen. Im doppelten Sinn des Wortes waren ihm die Komödie und der Roman das
Letzte. Den Menschen sind buchstäblich die historischen Ereignisse abhanden
gekommen. So vergnügt sie sich auch geben, sie sind innerlich wie ausgehöhlt. Der
Raum ist zur Fläche reduziert. Es gibt keine heroisch-theatralischen Menschen mehr,
Menschen, die größer sind als wir, die Leser und Zuschauer. Verknüpft man Hegels
zwei "Enden" der Geschichte miteinander, dann tritt man in die Welt des David Lodge.
Denn seine Romane sind allesamt dreist komisch, und was am meisten amüsiert, ist,
dass sich da nicht leichtgewichtige kleine Leute von Nebenan tummeln, sondern
gewichtige akademische Kaliber, die Nachfahren Hegels gewissermaßen. Das Auge
des Erzählers führt uns durch den Alltag universitärer Gästewohnungen, in die
Untiefen des Kühlschranks und in die Breite von Doppelbetten. Und in tödlich
langweilige Seminargruppen und akademische Sitzungen, die englische Universitäten
in bürokratische Höllen verwandeln.
Aber was macht diese Akademiker zu solch komischen Figuren, über die man
schallender lachen kann als über die Ungeschicklichkeiten von Dienstpersonal und
weltunkundigen Menschen? Das Komische resultiert - über die Berufskrankheiten
hinaus, die jeder Branche eigen sind - aus einem Missverhältnis der jeweiligen
Figuren zu ihrer Welt. Was den akademischen Menschen so attraktiv für das komische
Genre erscheinen lässt, ist offenkundig, dass seine prätentiösen Ansprüche sich nicht
im Einklang mit seiner lebensweltlichen, durchaus alltäglichen und durchschnittlichen
Situation befinden. Mittlerweile hat Lodge seine literarische Mannschaft umgestellt,
und der Leser sieht sich nicht länger mit dem feinsinnigen Poststrukturalisten Morris
Zapp (alias Stanley Fish), sondern mit dem sexuell durchaus unkorrekten
Kognitionswissenschafter Ralph Messenger, einem akademischen Don Juan,
konfrontiert. Auch hier steht der akademische Ernst in einem fatal verqueren Verhältnis
zu (Messengers) federleichten erotomanischen Begierden. Diese Welt der
akademischen Rituale und Codes steht gleichsam verloren neben der eigentlichen.
Der symbolische Ort für das Abseitige des Akademischen sind nicht mehr die rot
geziegelten Fassaden der freudlosen Universität Rummidge (alias Birmingham, von
dem im jüngsten Buch nur mehr der "Turm der Geisteswissenschaften" geblieben ist),
sondern jene neu gegründeten, auf die grüne Wiese gesetzten, von jeglicher urbanen
Umwelt abgeschnittenen Campus-Universitäten (wie um die Ecke von Birmingham:
Warwick oder wie Keele), die Steigerung des Komischen sind.
Mit sicherem Griff lässt Lodge dem schicken Postmodernisten den umtriebigen
Computerwissenschafter Messenger - nomen est omen - folgen, der in den
künstlichen Welten herumzappt bzw. -mailt und der neben seiner umfangreichen
Forschungsarbeit an der Universität Gloucester auch als Star einer
populärwissenschaftlichen TV-Reihe brilliert. Aber natürlich ist Denkt, Lodges neues
Buch, eigentlich keine literarisch eingekleidete Abhandlung über die Probleme der
Kognitionswissenschaft, das ruinierte allen sorgfältig komponierten Witz. Die
akademische Branche ist austauschbar, sofern sie eben symptomatisch für den
jeweiligen Zeitgeist steht. Messenger, der medial hochgerüstete Hyperrationalist in
der Theorie und der gelassene Irrationalist in der Praxis, verbindet elegant seine
universitären Ambitionen mit seinen ausufernden erotischen Affären. Während Helen
Reed, eine Figur aus der Vorpostmoderne, brav an ihrem Tagebuch und ihrem Roman
schreibt, bedient sich Messenger eines technisch hochgerüsteten Aufnahmegeräts,
das noch nach Jahren das Stöhnen einer verflossenen Geliebten getreu reproduziert.
Nicht um die Inhalte und Probleme dieser Wissensproduktionsanstalt geht es
vornehmlich, höchstens ganz en passant, sondern darum, wie durch die
Wissensfabrik Universität Menschen fabriziert werden, komische allemal. Dass
Messenger ganz offenkundig sein akademisches Kapital für seine erfolgreichen
medialen und erotischen Streifzüge einsetzt, besagt übrigens nicht, dass es sich
dabei um reine Scharlatanerie handelt. Aus der von Lodge gewählten
Gucklochperspektive kann man die akademische Welt indes nicht ganz ernst nehmen.
Die lebensweltlichen Ambitionen und die akademischen Allüren bilden ein komisches
"double", zwei Teile, die nicht zusammenpassen. Ein hektisches Geschehen, das in
sich selbst kreist.
Von außen besehen nimmt sich die akademische Innenlage also lächerlich aus. Die
Akademiker müssen sich wichtig nehmen, andernfalls zerplatzte der mühsam
aufgeblasene Luftballon akademischer Identität. Aber andererseits wird klar, dass
diese Größe aus der Außenperspektive gefährlich einschrumpft. Die komischen
Geschichten, die Lodge erzählt, berichten vom Pathosverlust: Der denkende Computer
steht in der Rangliste der Begierden gleichberechtigt neben dem Ehrgeiz des
Protagonisten, möglichst vielen seiner Kolleginnen zum Stöhnen zu verhelfen.
Kommunikativer Ort des Geschehens ist der abendliche Smalltalk nach dem
akademischen Alltag: australischer Rotwein, Yoga und die Indianer, dazu ein
flüchtiges, aber längst ritualisiertes, kurzes sexuelles tête-à-tête mit der Gastgeberin in
der Küche. Schickes Essen. Champagner im Eiskübel. Das alles verwandelt
scheinbar erwachsene Menschen in unbekümmerte Spieler. Am Ende des Romans
stellt sich heraus, dass auch die ernste Gattin, die Amerikanerin Carrie, dem
fröhlichen erotischen Sandkastenspiel huldigt. Beinahe alle diese akademischen
Feldforscher, Gastdozentinnen, akademischen Gastgeberinnen haben hohen
erotischen Konsumbedarf. Angesichts der Freudlosigkeit der autochthonen Esskultur
und der hinter der Sexual Correctness nur leicht verborgenen Prüderie besitzen die
galante Erotik und die Gourmetküche im Kontext der englischen Kultur beinahe eine
utopische, zumindest eine kontrafaktische Dimension: Wunschbilder des heimischen
akademischen Mittelstandes.
Das Glück des Einzelnen, so befindet Hegel, das seien die leeren Seiten der
Geschichten; aber, so scheint es wenigstens nach 500 Seiten Lektüre, die Leere der
Geschichte wiederum macht das Glück schal und leer; und wenn man Lodges
jüngsten Roman gegen den Strich bürstet, dann ließe sich fragen, ob die Affären, von
denen der Roman berichtet, weniger der Macht der Begierde als der Langeweile
entspringen. Wenn sich schon nichts Großes ereignet, dann wenigstens kleine
reizvolle Begebenheiten. Natürlich gelingt es Ralph am Ende, Helen herumzukriegen,
und wenn die Gastdozentur zu Ende ist, dann auch das sexuelle Begleitprogramm.
Wir sind kulturell noch nicht trainiert, mit dieser tückischen Leere umzugehen und die
Frage auf sich beruhen zu lassen, ob es jenseits sexueller Begierde, Luxus und Geld
überhaupt noch existenzielle Beweggründe gibt. Was das akademische wie das
schriftstellerische Leben so herrlich leicht macht, das ist das Fehlen zureichender
Gründe. So erweist sich die Kognitionswissenschaft als ein amüsantes intellektuelles
Hobby, das ordentlich Geld und darüber hinaus symbolisches Kapital einbringt. Auf
den Schriftsteller umgelegt, könnte man fragen, ob es über die Lust am Schreiben und
die Freude am Erfolg hinaus noch so etwas wie ein ernsthaftes Motiv gibt, das nicht
erbarmungslos der Lächerlichkeit anheimfällt und das nicht vorgeschoben ist. Diese
unziemliche Frage kann freilich nur dann auftauchen, wenn man nicht einfach mitlacht,
sondern das Komische ernst nimmt.
Das Komische hat also noch einen anderen Ort: die Literatur selbst, die komisch wird
und allen Ernst einbüßt, wenn man sie bewusst handhabt. Denn Lodge ist ein
vergnügter und vergnüglicher Spieler, der so ehrlich ist, sich nicht aus seiner nicht
moralisierenden Perspektive auszunehmen. Wie Umberto Eco ist Lodge ein Autor, der
zu viel weiß über die ästhetischen Tricks, derer er sich bedient. Wenn er etwa,
kontrastiv und abwechselnd, einem männlichen Erzähler eine weibliche Erzählerin
zugesellt, dann ist das eine unterhaltsame Einführungsveranstaltung in moderne
Ästhetik (Stichwort: Perspektive), zugleich eine sanft ironische Bezugnahme auf den
benachbarten Kurs in Gender-Studies. Dem Leser, der Leserin werden die Ereignisse
doppelt, sich wechselseitig relativierend, vorgeführt.
Lodge, der gelernte Literaturwissenschafter, führt seinen Fundus wie ein
Zauberkünstler vor, der stolz ist auf die Illusionstechniken, die er beherrscht. Seine
Figuren, Puppen, diese Messengers, Reeds und Glovers, sind nicht bloß
leichtgewichtig, auch dann, wenn sie bedrückt sind, sondern sie sind leicht
hingeworfen, Montagen aus einer medialisierten Welt, programmatisch ohne
Tiefgang, und man weiß von allem Anfang: Sie stehen nur auf dem Papier. Vielleicht
beschert uns Lodge nach dem poststrukturalistischen Literaturtheoretiker, dem
Drehbuchschreiber von Seifenopern und dem erotisch obsessiven
Computerkonstrukteur demnächst einen jener Designer der unzähligen Vergnügungs-
und Einkaufsparadiese, wie sie in England, speziell in Birmingham aus dem Boden
schießen. Das Studium der leeren Seiten des Glücks tut Not. Am Ende wissen wir,
dass wir, der Autor und seine Leserschaft, genauso sind wie die Figuren aus der
Lodge-Welt, klein, komisch. Macht nichts, halb so schlimm, nimm's nicht tragisch.
Helen und Ralph gehen wieder auseinander, mehr oder weniger friedlich. Helen
veröffentlicht ihren Roman: Er spielt in einer nicht mehr ganz so neuen Universität und
hat den Titel Weinen ist ein Rätsel.
Der Titel ist ein Coup: Am Ende erkennt Helen das zentrale Tabu unserer Zeit; nichts
darf mehr zum Heulen sein. Nicht einmal das Heulen selbst.
(Von Wolfgang Müller-Funk - DER STANDARD, Album, Sa./So., 1./2.12.2001)
Forum:
Ihre Meinung zählt.
Die Kommentare im Forum geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder.
Die Redaktion behält sich vor, Kommentare, welche straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen,
den guten Sitten widersprechen oder sonst dem Ansehen des Mediums zuwiderlaufen
(siehe ausführliche Forenregeln),
zu entfernen. Benutzer:innen können diesfalls keine Ansprüche stellen.
Weiters behält sich die STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H. vor, Schadenersatzansprüche
geltend zu machen und strafrechtlich relevante Tatbestände zur Anzeige zu bringen.