Ein dreifacher Terroranschlag, bei dem in der Nacht auf Sonntag in der Fußgängerzone von Jerusalem zehn Passanten starben und rund 180 verletzt wurden, und zwölf Stunden später ein Busanschlag im Zentrum von Haifa, bei dem 15 Menschen getötet wurden, haben in Israel eine Debatte über eine "strategische Änderung" der Politik gegenüber Yassir Arafat ausgelöst. Politiker dachten laut darüber nach, ob man offen auf die Entmachtung des Palästinenserchefs oder sogar auf die Zerschlagung der palästinensischen Autonomiebehörde hinarbeiten soll. Die Ben-Jehuda-Straße in Jerusalem ist die Hauptachse eines Vergnügungsviertels mit vielen Kaffeehäusern, Restaurants und Kiosken, sie wimmelt am Samstagabend gewöhnlich von vor allem jungen Menschen. Kurz vor Mitternacht sprengten sich dort zwei Selbstmordattentäter fast gleichzeitig in die Luft.
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"Er ist vor meinen Augen explodiert", erzählt die junge Ilana Cohen, die mit einem Schock davonkam. "Wir wollten uns gerade in ein Café setzen - da ist er in die Luft geflogen, es war ein weißes Licht, dann Stille, und dann haben die Menschen zu rennen begonnen." Die Rettungsarbeiten waren in vollem Gang, als 20 Minuten danach in der Nähe noch eine Autobombe hochging - das Zentrum der Hauptstadt versank einige Stunden lang im Chaos. Nach dem Attentat in Haifa ließ Israels Außenminister Shimon Peres alle in Israel akkreditierten ausländischen Botschafter ins Außenministerium bitten. Auch in Haifa wies alles darauf hin, dass es sich um einen Selbstmordattentäter handelte. Das israelische Sicherheitskabinett erfuhr während einer Sondersitzung in Tel Aviv Berichte von dem neuen Anschlag. Die israelische Armee nahm in Ostjerusalem neun Palästinenser fest, offensichtlich in Wohnhäusern von zwei Hamas-Mitgliedern. "Ärger und Schmerz" Hinter dem Anschlag in Jerusalem wurde sofort die Hamas vermutet, sie hatte in der vergangenen Woche Rache für die "Liquidation" des Hamas-Führers Mahmud Abu Hanud durch die israelische Armee geschworen und Vergeltungsaktionen angekündigt. Der Fernsehsender der Hisbollah im Libanon, al-Manar, meldete, die Hamas habe sich zu den Anschlägen in Jerusalem bekannt. Die Palästinensische Behörde verurteilte den Anschlag mit scharfen Worten, drückte ihren "tiefen Ärger und Schmerz" darüber aus und warf den Urhebern vor, die Friedensbemühungen torpedieren zu wollen. Arafat rief am Nachmittag den Ausnahmezustand in den Gebieten der Selbstverwaltung im Westjordanland und im Gazastreifen aus. Doch in Israel scheint man jeglichen Rest von Vertrauen zu Arafat verloren zu haben. "So eine Lage noch einige Monate hinnehmen zu müssen wäre unerträglich", meinte Innenminister Eli Jischai von der religiösen Shass-Partei, "das zwingt uns, eine Entscheidung zu treffen, die sehr weitgehend sein kann." Auch Kulturminister Matan Vilnai von der Arbeiterpartei findet es "klar, dass alle Schuld bei Arafat liegt" - er hält es aber nicht für richtig, Arafat "aus dem Territorium zu entfernen". Zuletzt hatte sich Israels Ratlosigkeit wieder in dem seit Beginn der Intifada gefahrenen Zickzackkurs um die Abriegelung palästinensischer Städte gezeigt. Erst am Dienstag war die Armee aus der Autonomiezone am Rand von Djenin abgezogen worden, sofort darauf wurde im Gefolge der Terrorwelle die "Einkreisung" von Djenin, Tulkarem und Nablus wieder verstärkt. Sonntagfrüh wurde bei einem weiteren Überfall im Gazastreifen ein Israeli in einem Auto erschossen, die beiden Attentäter wurden bei einem Schusswechsel mit Soldaten getötet. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.12.2001)