Berlin - Die Röte des Rots der seitlichen Streifen auf Wim Wenders' Hose fiel am Samstagabend zuerst ins Auge, als es in Berlin an die Vergabe der European Film Awards ging. Wenders trug ein Beinkleid, das den Dresscode (schwarze Krawatte) mit der Leitfarbe der Europäischen Filmakademie vermittelte. Rot lag in der Luft, und die Luft war heiß. Das neue Berliner Tempodrom am Anhalter Bahnhof - ein Gebäude, das durch seinen Namen hinreichend beschrieben ist - enthält unter seinen himmelwärts strebenden Betonwellen viel Stauraum für die Träume von einem europäischen Kino, das mit dem amerikanischen gleichzieht. Vielleicht müsste es sich dazu einfach den Funktionärseliten entwinden, die bei der European Film Academy für den Ablauf der Gala zuständig waren. Nik Powell, der Vorsitzende dieser Akademie, eröffnete den Abend mit einer Rede, die an Vulgarität schwer zu überbieten war. Danach trat der deutsche Staatskulturminister Julian Nida-Rümelin vor die geladenen Gäste und sprach das Gebet von den Marktanteilen. Währenddessen stand Wim Wenders neben ihm und ließ seine Hose leuchten. Österreich musste mit besonders großem Interesse auf diese Gala blicken, schließlich gilt dieses Land inzwischen als ein Tigerstaat der europäischen Kinematographie. Nicht weniger als vier Künstler durften sich Hoffnungen auf einen Preis machen: Michael Hanekes Die Klavierspielerin war mehrfach nominiert, dazu kamen Jessica Hausners Lovely Rita und Ulrich Seidls Hundstage in der Kategorie "Fassbinder Award" für eine "Europäische Entdeckung" sowie Virgil Widrich, der mit Copy Shop bei den Kurzfilmen im Rennen war. Als Jessica Hausner zu Beginn der Gala ihren Sitzplatz auf dem Rang und nicht im Parkett einnahm, war allerdings sofort klar, dass dies eine Veranstaltung mit straffer Regie war. Bei den Oscars werden die Kuverts ja tatsächlich erst auf der Bühne geöffnet, bei den European Film Awards hingegen ent- stand der Eindruck, als wäre in Brüssel schon monatelang über Preisträger, Sitzordnung und Festgäste verhandelt worden. Der Fassbinder-Preis ging dann an El bola von Achero Manas, einen Film aus Spanien, und den Kurzfilmpreis bekam der britische Beitrag Je t'aime John Wayne . Wenig pythonesk Englisch war die Verkehrssprache, nach der Rede von Julian Nida-Rümelin fiel kaum noch ein deutsches Wort. Der wenig bekannte und wenig witzige britische Komiker, der für die Moderation angeheuert worden war, merkte schnell, dass dies kein Heimspiel war. Zur Strafe musste er es mit Monty Python aufnehmen, die einen Ehrenpreis für das Lebenswerk bekamen und zwei Mitglieder nach Berlin entsandt hatten. John Cleese war nicht dabei, und weil niemand die mittlerweile ein wenig verwitterten Herren "properly" vorstellte, missriet auch dieser einzige Moment, in dem Stimmung aufkam, zu einem dummen Handgemenge. Bei den vier zentralen Kategorien der Europäischen Filmpreise hielt sich die Spannung dann in Grenzen: Zu klar waren die Favoriten. Als bester Schauspieler wurde Ben Kingsley ausgezeichnet, der in einem Film namens Sexy Beast einen Ungustl spielt. Die Trophäe für die beste Schauspielerin ging an Isabelle Huppert in Die Klavierspielerin , die sich bei Michael Haneke bedankte. Und die beiden wichtigsten Preise gingen nach Frankreich: Die fabelhafte Welt der Amélie wurde zweimal ausgezeichnet, für die Regie und als Film, wofür sich Jean-Pierre Jeunet mit einem Verweis auf seine schlechten Erfahrungen in Hollywood bedankte. "Es ist unbezahlbar, wenn man vollkommene Freiheit hat." Solange Europa das Geld für Galas wie die vom Samstag hat, wird es sich noch viel Freiheit für das Kino leisten können. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. 12. 2001)