Aus dem untergegangenen Koloss entstanden 15 neue Staaten. Im Gegensatz zum Baltikum fiel die Eigenstaatlichkeit etwa den zentralasiatischen Staaten eher ungewollt in den Schoß. Doch auch diese einstigen Sowjetrepubliken gewöhnten sich schnell an ihre Freiheit und verbaten sich Einmischungen von außen. Damit war in der Regel Russland gemeint. Besonderen Wert auf sichere Distanz zu Moskau legten Länder wie die Ukraine, Usbekistan, Moldawien, Aserbaidschan, Turkmenistan und Georgien. An guten Beziehungen zu Russland interessiert waren hingegen Länder wie Kasachstan, Weißrussland, Armenien, Tadschikistan oder Kirgisien.
Reizwort "nahes Ausland"
Russland spielte in der GUS nicht nur wegen seiner Größe und Stärke eine zentrale Rolle. In allen Folgestaaten wurden mit der Unabhängigkeit Sowjetbürger aus anderen Republiken zu Ausländern. Dies betraf nicht nur Russen, aber vor allem sie. Moskau machte sich sofort zum Schutzherrn der russischen Gemeinschaften. Es versuchte damit die Länder an sich zu binden, die es als "nahes Ausland" bezeichnete. In Staaten wie der Ukraine, die sich aus Russlands Umklammerung lösen wollten, versuchte man die russische Bevölkerung zu marginalisieren und ihren zum Teil starken Einfluss auf die Politik zurückzubinden.
Anders in Kasachstan. Das Land, das zusammen mit der Ukraine und Russland zu den drei größten Staaten der GUS gehört, hat wie die Ukraine lange Grenzen mit Russland und beherbergt eine große russische Minderheit. In Kasachstan stellte die Titularnation nach der Unabhängigkeit nur etwa 39 Prozent, dicht gefolgt von den Russen mit 36 Prozent. Doch das Land betrieb eine gänzlich andere Nationalitätenpolitik als die Ukraine. Nationalistische Bewegungen wurden zurückgedrängt, und zwar die kasachischen wie die russischen.
In der Sicherheitspolitik der GUS-Staaten wurde die Einstellung zur Nato schnell zur Gretchenfrage: Die Länder, die sich von Russland distanzierten, verkündeten ihre - tatsächliche oder angebliche - Hinwendung zur Allianz. Am weitesten gingen dabei Aserbaidschan und Georgien, die lange vor dem 11. September ihre Militärbasen der Nato zur Verfügung gestellt hatten - freilich ohne dass Brüssel davon groß Notiz genommen hätte. Nach den Attentaten in New York und Washington ist jedoch ein anderes Land zumindest vorläufig in die Gunst westlicher Partnerschaft gekommen: Auf Usbekistans Militärbasen stehen derzeit US-Soldaten, die im Krieg in Afghanistan eingesetzt werden.
Mühe mit der Nato
Russland bekundet bis heute Mühe mit der Nato, die mit dem Baltikum erstmals auf das Gebiet der Ex-UdSSR vorzudringen plant. Moskau ist gegen diese Aufnahme, weiß jedoch auch, dass dies nicht den Anfang, sondern das Ende der Nato-Osterweiterung bedeuten würde. Die Aufnahme von GUS-Ländern wie Georgien oder Ukraine ist derzeit undenkbar. Dies nicht nur, weil Russland dem massiven Widerstand entgegensetzen würde, sondern auch, weil Brüssel an diesen Kandidaten gar nicht interessiert ist.
Ob sie nun eine Mitgliedschaft in der EU oder der Nato zum Ziel erklären oder eine engere Integration der GUS betreiben: Keines der Länder ist zu einem Hort der Demokratie und des Wohlstandes geworden. Überall haben mehr und weniger autoritäre Präsidenten das Zepter übernommen, die Parlamente entmachtet und die freien Medien zurückgebunden. Die praktisch in der ganzen GUS propagierte Marktwirtschaft hat nicht zu einem Wirtschaftswunder, sondern zu Korruption und Vetternwirtschaft geführt.
Unter dem Vorsitz des Kreml-Chefs Wladimir Putin trat die Sicherheitspolitik klar in den Vordergrund. Fast alle Länder der ehemaligen Sowjetunion haben Probleme mit ethnisch oder religiös motivierten Separatisten oder mit Gebieten, die der Kontrolle des Zentrums entglitten sind. Dies hatte ein gewisses Zusammenstehen zur Folge. Anfang letzten Jahres wurde ein gemeinsames Zentrum zum Kampf gegen den Terrorismus gegründet, das sich mit Themen wie illegale Migration, organisiertes Verbrechen oder internationaler Terrorismus beschäftigt. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 3.12.2001)