Fast eine Woche lang diskutierte SP-Vorsitzender Alfred Gusenbauer in den Vereinigten Staaten mit hochrangigen Politikern und Wissenschaftern über die künftige Entwicklung sozialdemokratischer Parteien jenseits des so genannten Dritten Weges.

Der Harvard-Kreis . . .

Donnerstagfrüh versammelt sich in einem kleinen Semiminarraum der Kennedy School of Government auf dem Campus von Harvard ein kleiner Arbeitskreis.

Er besteht aus hochkarätigen Wissenschaftern. Professor R. M. Unger, der internationale Spezialist für ökonomische Theorien, D. Roderick, P. Hall, D. Kennedey und Robert Reich, der während der ersten Administration Bill Clinton US-Arbeitsminister gewesen ist. Diese Wissenschafter sind die Speerspitze der internationalen linken Elite, die sich seit Jahren mit Studien und Publikationen zu Wort meldet, um die geistige Dominanz der Rechten zu beenden.

. . . ist gegen den dritten Weg . . .

Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie den so genannten Dritten Weg der Sozialdemokratie ablehnen, den der Deutsche Gerhard Schröder und der Brite Tony Blair vor Jahren formuliert haben. Der Dritte Weg ist für sie weder Fisch noch Fleisch, sondern der Versuch einer Implementierung rechten Gedankenguts in linke Parteien. Das Experiment des Dritten Wegs ist nach Ansicht der linken Elite in Harvard gründlich misslungen.

Er hat ihrer Ansicht nach lediglich dazu geführt, dass die Thesen der Rechten noch breiter in den amerikanischen und europäischen Gesellschaften verankert wurden.

. . . und für einen "new social deal"

Die Sozialdemokratie hat auf diesem Weg ihre eigenständige Formulierungskraft selbst geschwächt, meinen die Wissenschafter. "Wenn man ununterbrochen rechte Thesen diskutiert, muss einem klar sein, dass man selbst ins rechte Spektrum rückt", formulierte einer der Teilnehmer des linken Arbeitskreises. Die ökonomische Entwicklung der vergangenen Monate habe aber gezeigt, dass die politischen Lösungsmodelle der Linken sehr wohl aktuell seien.

Das hat die amerikanische Regierung unter anderem erkannt, indem sie auf die keynsianische Theorie des "deficit spending" zurückgegriffen hat, um wirksam der Rezession gegensteuern zu können. Nötig sei daher ein "new social deal".

Gerechte Chancenverteilung

Der SPÖ-Vorsitzende Alfred Gusenbauer brachte in die Diskussion um den neuen sozialen Vertrag den von ihm geprägten Begriff der "solidarischen Hochleistungsgesellschaft" ein. Es geht dabei grundsätzlich darum, die Verteilung von Chancen in einer Gesellschaft gerecht zu gestalten. Das heißt, jede und jeder soll Anspruch auf den offenen Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen wie zum Beispiel Bildung, Gesundheit oder auch Betreuung im Alter haben.

Linke Politik zu machen bedeute, dass diese Ansprüche tatsächlich eingelöst werden können. Das hat konsequenterweise Auswirkungen auf die alltäglichen politischen Fragen wie zum Beispiel nach der Gestaltung von nationalen Systemen der Gesundheits- oder Pensionsvorsorge.

Einig war sich der Harvard-Kreis darin, dass es in diesem Zusammenhang keine für die einzelnen Staaten allgemein gültigen Detailregelungen geben kann. Zu unterschiedlich sind die nationalen Rahmenbedingungen. Mindeststandards sind allerdings angesichts der Herausforderungen der Globalisierung zu formulieren.

Ob sie für die Realität tauglich sind, davon hängt nicht zuletzt ab, ob die in Harvard begonne Suche nach dem nächsten Weg der Sozialdemokratie erfolgreich verläuft.

Vereinbart wurden regelmäßige Treffen - das nächste findet im Frühjahr in Wien statt -, um die Orientierung nicht zu verlieren. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 3.12.2001)