Wien - Es war politisch, das Thema eines großen dreitägigen Symposions am letzten Wochenende: Zu "Das Jahrhundert der Avantgarden" hatte das Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) ins Gebäude - ausgerechnet - der Beamtenversicherung geladen. Mit vielen Stars: vom Avantgardetheoretiker Peter Bürger über Terry Eagleton (siehe Interview) bis zu den Kunsttheoretikern Hans Belting, Beat Wyss und der Kulturtheoretikerin Christina von Braun. Also, was ist das eigentlich, die Avantgarde? Ganz allgemein gelten immer noch die Bestimmungen Peter Bürgers, der 1974 die Avantgarde gegen die autonome Moderne absetzte: Der avantgardistische Künstler will Kunst in Lebens- praxis aufheben. Problematisiert wird dabei der Werkcharakter (zugunsten der spontanen Aktion) und die individuelle Produktion (zugunsten der Gruppe): So konnte Marcel Duchamp das Massenprodukt eines Urinoirs mit seiner Signatur versehen und damit die Aura der individuellen Produktion ironisieren. Und heute? Ist die Hoffnung auf politische Intervention nicht verpufft? Der Architekturtheoretiker Michael Müller fragte hierzu differenziert nach den Adressatenschichten und den Strategien der Politisierung, vom Wohnbau bis in die Produktgestaltung: Kultureller Wandel bedeutete für die Avantgarde den Auftrag, nicht nur die Formen, sondern die Lebensgestaltung in der Masse zu ändern: ein gesamtgesellschaftliches Projekt. In solch größeren Kontexten wären so auch die Aviatik-Begeisterung (Peter Demetz) und idealistisch-romantischen Utopien (László Földeny) zu sehen. Zur Avantgarde im Popzeitalter lesen Sie am Dienstag noch ein Gespräch mit Beat Wyss. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. 12. 2001)