250 000 behinderte Menschen wurden alleine in Deutschland im Zuge des - mit dem nach außen verharmlosenden Begriff "Euthanasie" titulierten - Massenvernichtungsprogramms "lebensunwerten Lebens", "Aktion T4" genannt, zwischen 1939 und 1945 von den Nationalsozialisten ausgerottet. Die Malerin Elfriede Lohse-Wächtler war eine von ihnen, als sie im Sommer 1940 in der Vernichtungsanstalt Pirna-Sonnenstein in Sachsen in einem als Dusche getarnten Kellerraum vergast wurde. Geniale Künstlerin Der große und großartige künstlerische Nachlass von Elfriede Lohse-Wächtler, der über 400 Bilder ausmacht und den die Kunstkritik in eine Reihe mit Oskar Kokoschka, Otto Dix und Egon Schiele stellt, unterscheidet die ermordete Künstlerin von den vielen anonymen Opfern. Ohne ihn wäre auch sie dem Vergessen und Verschweigen dieser Greuel ein weiteres Mal zum Opfer gefallen. Geboren am 4. Dezember 1899 in Dresden-Löbtau, zeigte sie schon in frühen Jahren malerisches Talent. Eine Genialität, mit der die Eltern anscheinend überfordert waren. Denn gegen deren Willen besuchte sie die Dresdner Kunstakademie und verließ mit sechzehn ihr Eternhaus. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie mit Batikarbeiten. Friedrichsberger Köpfe Bis zu ihrem Nervenzusammenbruch mit Symptomen von Verfolgungswahn im Jahr 1929 lebte sie unter aufreibenden emotionalen und finanziellen Bedingungen, woran auch die Ehe mit dem Gelegenheitskünstler Kurt Lohse mitverantwortlich war. Sie wurde daraufhin in die Nervenheilanstalt Hamburg- Friedrichsberg eingewiesen, wo sie zwei Monate verbrachte. Hier entstanden die berühmten Friedrichsberger Köpfe: Studien von AnstaltsinsassInnen, die ihr bei einer Ausstellung 1929 höchstes Kritikerlob und den künstlerischen Durchbruch brachten. Etliche dieser Bilder wurden jedoch 1937 als "entartete Kunst" vernichtet. Zwei davon finden sich in der Hamburger Kunsthalle. Die Stabilisierungsphase nach diesem ersten Anstaltsaufenthalt war nur vorübergehend. Innerlich zerfahren, rastlos arbeitend und von Geldsorgen geplagt, lebte die Künstlerin vorübergehend als Obdachlose im Hamburger Prostituierten-Milieu. Arnsdorfer Zeit 1931 kehrte sie psychisch stark angegriffen ins Elternhaus nach Dresden zurück. Bald folgten heftige Auseinandersetzungen mit dem Vater, der sie 1932 in die nahegelegene Heilanstalt Arnsdorf einweisen ließ. Skizzen und Zeichnungen von zum Tode verurteilten Menschen zeugen vom Schrecken dieser Zeit. Die von Lohse-Wächtler porträtierten Mitpatientinnen teilten ihr Schicksal: Als schizophren oder unheilbar eingestufte Langzeit-Insassinnen, die auf den Todeslisten der Nazis standen. Schon nach wenigen Wochen in der Psychiatrie hatte sie die Eltern gebeten, sie wieder heimzuholen. Doch bis zu ihrer Ermordung 1940 durfte sie die Klinik nicht mehr verlassen. In einem Brief klagte sie: "Dies ewige Dicht an Dicht mit dauernd schwatzenden Weibern ist derart nervenzerrüttend und bringt mich immer weiter von Arbeit und Lebensbewusstsein ab." Zwangssterilisation Im Dezember 1935 versetzten NS-Ärzte Elfriede Lohse-Wächtler einen weiteren Schlag, der sie endgültig innerlich zerbrechen ließ: Sie wurde, ungeachtet ihrer Proteste und der Eingaben seitens der Familie, zwangssterilisiert. Außer dem Bild einer gekreuzigten Frau, das als verschollen gilt, hat sie nach der entwürdigenden Sterilisation nur noch Postkarten verziert. Als sich im Sommer 1940 die Eltern endlich entschlossen, ihre Tochter für einige Zeit aus der Anstalt zu nehmen, war es zu spät. Elfriede Lohse-Wächtler war in die Mühlen der Bürokratie geraten und stand bereits auf der Todesliste der "Lebensunwerten". Elfriede Lohse-Wächtler wurde am 31. Juli 1940 nach Pirna-Sonnenstein gebracht, eine der sechs großen deutschen Vernichtungsstätten. Noch am selben Tag wurde sie gemeinsam mit zwanzig weiteren Frauen mit CO-Gas ermordet. Den Eltern wurde Wochen später brieflich mitgeteilt, ihre Tochter sei von Pirna nach Brandenburg a.d.Havel verlegt worden und dort "trotz aller Bemühungen der Ärzte, die Patientin am Leben zu erhalten an einer Lungenentzündung mit Herzmuskelschwäche" gestorben. Opfer der Menschenverachtung Die Biografin Hedwig Kaster-Bieker klagt an: "An welcher Krankheit litt Elfriede Lohse-Wächtler? Was rechtfertigte ihr Weggesperrtwerden? In Hamburg hatte man in Ermangelung genauerer Diagnose-Verfahren einen "Schizophrenie"-Verdacht geäußert, bzw. eine "transitorische Psychose einer Instabilen" vermutet. In Arnsdorf 1932 wurde "Schizophrenie" in die Krankenakten eingetragen und dieser Befund später nicht mehr überprüft. Heute würde man wohl eine andere Diagnose stellen: gelegentlicher Verfolgungswahn, Reizbarkeit, Arbeitswut, Überlastung, Burn-out-Syndrom, verstärkt durch schlechte Ernährung. Noch aus ihrem letzten Lebensjahr belegen Briefe die völlige geistige Klarheit der Künstlerin". (dabu)