Die Aktion sei mit Washington abgesprochen worden, erklärte der russische Präsident Wladimir Putin, als er vergangene Woche ein Kontingent von Diplomaten, Helfern und Sicherheitsleuten nach Afghanistan verlegen ließ. Nichts also von dem eigenwilligen Vorpreschen, wie es die Russen noch vor zwei Jahren auf dem Balkan praktiziert hatten: Damals waren russische Panzer von Bosnien her in den Kosovo vorgedrungen, ohne dass die Kommandierenden der multinationalen Friedentruppe, die sich gerade für das Einrücken bereit machte, etwas davon wussten. In Kabul haben die Russen keine Panzer dabei, und es sind auch keine Soldaten dort stationiert, sondern Mitarbeiter des Ministeriums für Katastrophenschutz. Doch so groß scheint der Unterschied zur Balkanaktion für die Amerikaner nicht zu sein. Sie sind verärgert und betrachten die Russen mit Misstrauen, die sich ihrer Meinung nach in Kabul für die Entscheide über die Zukunft Afghanistans in Position bringen wollen. Und die paar Dutzend Leute, die Moskau nach Kabul geschickt hat, mögen zwar keine Soldaten sein, doch sehen sie eindeutig so aus in ihren dunkelblauen Uniformen und den Kalaschnikows in den Händen. Da beruhigt es die Amerikaner wenig, wenn Moskau versichert, es handle sich um eine rein humanitäre Mission, deren Aufgabe es sei, ein Feldlazarett zu errichten und die alte sowjetische Botschaft wieder in Stand zu setzten. Gute Beziehungen gefährdet US-Außenminister Colin Powell hat offenbar seinem russischen Amtskollegen per Telefon die amerikanische Sicht der Dinge unzweideutig erklärt. Russland solle jegliche plötzliche diplomatische oder militärische Aktionen unterlassen, denn das könne die guten Beziehungen zwischen Washington und Moskau gefährden. Zudem, zitiert die Washington Post einen Beamten des Weißen Hauses, habe Powell Russland aufgefordert, jegliche Aktion zur Unterstützung der Nordallianz und deren Führer Rabbani zu unterlassen. Das ist etwas viel verlangt für Moskau, das seit Jahren jene Nordallianz unterstützt, deren sich die USA in den letzten Wochen als Bodentruppe gegen die Taliban bedient haben. Die Nordallianz ließ denn auch verkünden, die Landung der Russen in Kabul sei mit ihr abgesprochen gewesen. Bisher waren sich die USA und Russland in der Afghanistanpolitik einig: Die Herrschaft der Taliban muss verschwinden. Doch nun, da es darum geht, wer an ihrer Stelle das Land regieren soll, treten Meinungsverschiedenheiten auf. Die USA scheinen ein limitiertes Einbeziehen der Gotteskrieger in eine künftige Regierung nicht auszuschließen, doch Russland stellt sich dagegen. Dort sieht man die Taliban als moskaufeindliche Gruppierung an. Russland möchte statt ihrer lieber mehr von den alten Bekannten aus der Nordallianz in Kabul sehen. Moskau betrachtet Burhanuddin Rabbani, der international als Präsident des Landes anerkannt wird, als maßgebliche Instanz in Afghanistan. Dies hat Putin erneut klar gemacht, als er erklärte, Russland habe sein Kontingent auf eine Bitte des islamischen Staates Afghanistan unter Präsident Rabbani nach Kabul entsandt. In Washington wird hingegen betont, Rabbani sei nur einer von vielen afghanischen Führern, die an einer Friedenslösung beteiligt werden müssten. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.12.2001)