Bonn - Sie umarmten und küssten sich. Wer die Eröffnung der Afghanistan-Konferenz vor einer Woche auf dem Petersberg in Bonn beobachtete, hatte nicht den Eindruck, dass hier verfeindete Afghanen einander gegenüberstanden. Kein Wunder, denn viele der Delegierten sind miteinander verwandt oder verschwägert: Am dichtesten sind die Familienbande in der "Peschawar-Gruppe". Der einflussreiche gemäßigte Paschtunen-Führer Pir Sayyid Ahmad Gailani hatte seinen Sohn Sayyid Hamed zum Delegationsleiter ernannt, zweiter von drei Delegierten ist sein Schwiegersohn Anwar-ul-Haq Ahadi. Tochter Fatima ist eine von zwei Beratern.

Auf der Teilnehmerliste taucht ein weiterer Sayyid Gailani auf. Er führt als zweiten Namen noch Ishaq und ist Ersatzdelegierter der "Zypern-Gruppe", die ebenfalls aus Exilafghanen besteht. Alle Gailanis sind wiederum mit Exkönig Zahir Shah verwandt, der mehrere aus seiner Sippschaft in die "Rom-Gruppe" geschickt hat: Mustafa Zaher ist sein Enkel, die Delegierte Sima Wali und ihr Kollege Salmai Rassul gehören zur Verwandtschaft des früheren Monarchen.

Hekmatyars Schwager, Massuds Bruder

Einer der früheren Kriegsherren Afghanistans, Gulbuddin Hekmatyar, beschwerte sich, bei den Gesprächen in Bonn nicht direkt vertreten zu sein. Er dürfte aber gut informiert werden, denn der Chef der "Zypern-Gruppe" ist sein Schwiegersohn Houmayoun Jareer. Auf seinen Bruder wird häufig Ahmad Wali Massud angesprochen, der Ersatzdelegierter der Nordallianz ist. Sein Bruder war der Anfang September ermordete Oppositionsführer Ahmed Shah Massud.

So wird nicht immer über die Zukunft Afghanistans gesprochen, wenn die Verhandler auf dem Petersberg bei grünem Tee und Feigen in Grüppchen zusammensitzen. Häufig werden auch Familiengeschichten ausgetauscht, da sich gerade die Exilafghanen häufig lange nicht gesehen haben. Die Verwandtschaftsbeziehungen, so hofft ein westlicher Diplomat, sollten sich positiv auf die Verhandlungen auswirken. (afs)

(DER STANDARD, Printausgabe, 4.12.2001)