"Zu einem Fach hatte ich während meines Medizinstudiums in Wien überhaupt keine Beziehung, zur Dermatologie", erinnert sich Georg Stingl, Österreichs renommiertester Dermatologe, "aber plötzlich ging es dort ums Ganze": Der Student hatte alle Prüfungen so gut abgeschlossen, dass zur Promotion erster Klasse ("sub auspiciis praesidentis") nur noch eine fehlte, die in der Kunde von der Haut. Stingl vertiefte sich "völlig überdimensioniert" in die Bücher und entdeckte "plötzlich unglaubliches Interesse". Den Lohn gab es am 5. Dezember 1973, im Alter von 25 Jahren wurde Stingl unter den Augen des Bundespräsidenten promoviert. Das war (und ist) nicht nur eine seltene Ehre, sie war damals auch mit einer sorgenfreien beruflichen Zukunft verbunden: Die Republik vergab für solche Doktoren "ad-personam-Stellen". Stingl ging zur Ausbildung als Facharzt an die Hautklinik des AKH, wo er heute die Immundermatologie leitet. "Wollen Sie Wissenschafter werden?", empfing ihn sein Chef: "Ich sage Ihnen eines: Wenn Sie das tun, werde ich Sie in den Arsch treten." Stingl nahm die Herausforderung an und auch den Rat, sich auf Immunologie zu spezialisieren. Die lag am AKH "um Lichtjahre hinter der Welt, wir mussten erst einmal die Grundtechniken erlernen und haben nächtelang Zellen typisiert. Zum Forschen und Publizieren kamen wir zunächst nicht." Das hat sich geändert, Stingls Publikationsliste summiert sich auf über 250 Titel, in vielen steckt auch Arbeit seiner im Vorjahr verstorbenen Frau, mit der der Forscher ein "Wissenschafterleben" geführt hat. Inhaltlich kreist alles um die Rolle der Haut im Immunsystem. Stingl hat eine zuvor übersehene Immunzelle in der Haut entdeckt, er hat auch versucht, zur Stärkung der Immunabwehr eine Impfung gegen den übelsten Hautkrebs (Melanom) zu entwickeln. Mit dieser Studie wurde er in den 90er-Jahren einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, weil er erstmals in Österreich mit Gentherapie experimentierte. In der Fachwelt hatte er schon lange einen Namen, durch jene Entdeckung, die er für seine "wichtigste" hält: Stingl hat in der Haut Immunzellen identifiziert, die Eindringlinge wie Bakterien oder Viren aufnehmen und sie anderen Zellen vorzeigen, die sie dann zerstören. Solche "dendritischen Zellen" hatte man 1973 in der Milz entdeckt, Stingl fand sie 1975 "auch ganz weit draußen, nahe der bedrohlichen Umgebung, in der Haut". Auf diesen Zellen ruhen große Hoffnungen auf Impfstoffe für Tumoren, auch Stingl versucht sich daran. Wenn neben dem Forschen und der Betreuung der Patienten noch Zeit bleibt, widmet sich Stingl einer ganz anderen Wissenschaft - er erforscht auch als Zeitgeschichtler die Erste Republik. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4. 12. 2001)